Island - Insel aus Feuer und Eis

 

Ich sitze im Flieger gen Norden. Mein Ziel: Island, mythische Insel im nordischen Eismeer. Mein Vorhaben: Nordlichter jagen. Dies ist in der Tat die eigenwillige Formulierung für eine Tätigkeit, die schlicht unmöglich ist. Die Dinger lassen sich nicht jagen. Und das stellen sie auch eindrucksvoll unter Beweis.

 

Als der Flieger in Reykjavík landet, ist es zwar erst 16.00 Uhr, aber bereits stockdunkel. Die arktischen Nächte sind lang. Die Sonne geht erst gegen 11.00 Uhr auf und verabschiedet sich schon wieder um 15.00 Uhr. Ein enges Zeitfenster, wenn man gute Fotos schießen will.

 

Ich reise mit leichtem Gepäck. Was ich für die fünf Tage brauche, passt in mein Handgepäck. Das erspart mir die endlose Warterei am Gepäckband, und ich gehe zügig durch zur Ankunftshalle. Nur ein weiterer Reisender hatte die gleiche Idee, so kommt man unwillkürlich ins Gespräch. Ein gemeinsamer Kaffee, um die Wartezeit zu verkürzen, bis alle angekommen sind – und schon war der Eindruck da, dass man die gleiche Wellenlänge hat. Meine neue Bekannt-schaft ist weltoffen, weitgereist und verfügt, das zeigt sich im Laufe der folgenden Tage, über einen ähnlich tiefen Fundus an selbsterlebten Anekdoten wie ich selbst. Es wird nicht langweilig.

 

Auf dem Weg zum Hotel werden wir von mächtigen Feuer-werken empfangen. Doch dann erfahren wir, dass sie gar nicht uns gelten. Der Reiseführer macht uns vertraut mit einem isländischen Brauch, der mich amüsiert: Vom 11. Dezember an steigt jeden Tag ein Weihnachtsmann vom Himmel, um die Kinder zu beschenken. Das sind bis zum 24. Dezember also dreizehn an der Zahl. Dann gibt es die ultimative Bescherung, und ab dem 25. Dezember ver-schwindet wieder jeden Tag einer, bis sich dann am 6. Januar auch der letzte verflüchtigt hat. Dieses Ereignis wird dann mit dem Feuerwerk gefeiert. Auch gut!

 

 

Die Insel hat etwas atembe-raubend Mystisches. Nicht nur weil hier die Quellen des von mir hochgeschätzten Nibelungenlie-des liegen. Brünhild hinter der Waberlohe, auf den strahlenden Recken Siegfried wartend – das wäre mit Mallorca als Schauplatz unvorstellbar.

 

Die mächtigen Naturkräfte sind weitgehend ungezähmt: Die eurasische und die nordatlantische Landplatte bekriegen sich und bilden eine bizarre Schlucht, in der in grauer Vorzeit die Isländer ihre Volksversammlungen abhielten, Wasserfälle aus 60 Meter Höhe fesseln den Blick, und jetzt im Winter noch umso mehr, jetzt sind sie nämlich zugefroren und hängen als gigantische Eiszapfen von den Wänden. Geysire explodieren in regelmäßigen Abständen und bilden das Ventil für die elementaren Kräfte, die unter-irdisch toben.

 

Ein Gleiches tut, eine Nummer größer, auch Islands berühmtester Vulkan. 2010 hat der Eyafjallajökull jeden Nachrichtensprecher zur Verzweiflung gebracht, wenn erklärt werden sollte, warum die Flugverbindungen gestört wurden. Der Vulkan mit dem unaussprechlichen Namen hat mächtige Mengen an Rauch in die Atmosphäre gespuckt.

Und in den Nächten flackert, wenn man Glück hat, das geheimnisvolle Nordlicht, grün oder lila, je nachdem.

 

Ein Gedankenspiel: Wie mag diese Welt wohl ausgesehen haben? Damals, bevor das elektrische Licht erfunden war? Was macht es mit den Menschen, wenn sie die Hälfte des Jahres in dieser diffusen Dunkelheit leben müssen?

 

Erklärbar, dass Naturgeister wie Elfen und Trolle, Riesen und Drachen ihr Leben bestimmten.

 

 

Es muss vieles günstig zusammen-kommen, damit man Nordlichter zu sehen bekommt.

 

Da braucht es zunächst einmal eine tiefdunkle Nacht (wir haben wunderschö-nen Vollmond, der den Schnee auch noch reflektieren lässt), einen klaren Himmel (wir haben jede Menge Schleierwolken), kräftige Sonneneruptionen (da ist wohl nicht allzu viel los, da oben), und dann müssen die Sonnenpartikel auf Sauerstoff treffen und nicht auf Stickstoff (kann auch umgekehrt sein – keine Ahnung!). Jedenfalls muss man blauäugig sein zu erwarten, dass in den fünf zur Verfügung stehenden Tagen alles auf einmal eintritt.

 

Wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, sagt uns das Internet. Und die technik-affinen Nerds (mein Reisebegleiter gehört dazu) prognostizieren, dass nur an einem Tag eine minimale Wahrscheinlichkeit besteht.

 

So stehen wir dann auf einer exponierten Stelle im National-park, der für diese „Jagd“ besonders geeignet erscheint und frieren. Aber die Beute ist mager. Ein oder zweimal scheint ein Hauch von grün am Himmel zu sein, aber viel zu schwach, als dass es für ein Foto gereicht hätte. Vielleicht war aber hier auch nur der Wunsch der Vater des Gedankens.

 

Schade! Das wäre das Sahnehäubchen gewesen!

 

Für mich ist es ein besonderes Erlebnis, mal wieder einen richtigen Winter zu erleben, durch tiefen Schnee zu stapfen und sich warm einzupacken, weil ein eisiger Wind weht. Wann hatten wir den letzten richtig krachig kalten Winter!

 

Auf unserer Busfahrt zu den landschaftlichen Schönheiten der Insel sehen wir immer wieder Herden von Islandpfer-den, bis zum Bauch im Schnee stehend, weit und breit kein Unterstand. Sie scharren mit den Hufen, offenbar auf der Suche nach Gras, was wohl nur in Form von Tiefkühlkost zu finden ist. Das wäre für die verwöhnten Vierbeiner bei uns im Stall, die beim leisesten Lufthauch warm eingedeckt werden, ein Unding. Wir sind hier wirklich in einer anderen Welt gelandet.

 

Die Isländer gehen ganz unbefangen um mit dem widrigen Wetter, wo wir Touristen Eiertänze veranstalten, um nicht auszurutschen.

 

Aber genau das passiert mir. Einen Moment lang nicht aufgepasst – und ich schlage hart mit dem Hinterkopf auf eine Eisplatte. Es ist ganz schön gespenstisch, wenn man plötzlich keine Ahnung mehr hat, wo man ist und wie man auf diese Bank gekommen ist, auf der man gerade sitzt. Ich lehne den Arztbesuch ab, nach einer Zeit geht es langsam wieder. Zum Glück kümmert sich mein Reisebegleiter aufmerksam um mich.

 

Wir beraten, ob ich Island verklagen soll, weil nicht gestreut war, aber dann lassen wir das doch.

 

Befremdlich nur, dass dieser Mensch mit abgründigem Humor, anstatt mich zu bedauern, seltsame Kommentare loslässt zum Thema „hohles Geräusch“ beim Aufschlagen mit dem Hinterkopf. Man braucht halt keine Feinde, wenn man solche Freunde hat.

 

 

 

 

Am letzten Tag hätte ich gerne eine Bootstour zu den Walen mitgemacht. Die gibt es nämlich in Küstennähe in rauen Mengen. Zwar habe ich die Ozeanriesen schon mehrfach gesehen (u.a. in Alaska, Neuseeland und Südafrika), aber es ist doch immer wieder ein Erlebnis zu sehen, wie sie beim Abtauchen mit der Schwanzflosse Bye-bye winken, und da bei uns im Saarland die Walpopulation doch nicht allzu üppig ist, schreibe ich mich für dieses Erlebnis ein.

 

Doch der Tag ist ein einziges Fiasko. Ein Sturm, dass du dich festhalten musst, um nicht wegzufliegen! Die Fahrt wird abgesagt. Und das ist gut so. Denn die Besatzung hätte bei diesem Seegang mit mir und meinem Mageninhalt nicht viel Spaß gehabt.

 

Die bange Frage, ob wir am nächsten Tag überhaupt abheben können, beschäftigt uns weiter. Doch über Nacht flaut der Sturm merklich ab. Am nächsten Tag ist der Start kein Problem mehr, zumal der Flughafen von Reykjavik über zwei verschiedene Landebahnen verfügt: eine in Ost-West- und eine in Nord-Süd- Richtung – je nachdem woher der Wind weht. Die Isländer kennen offenbar ihre Lüftchen.

 

Fazit: Die Reise war, auch ohne Nordlichter, ein wirkliches Erlebnis gewesen.