Urlaub 1998: Tibet und Indien

                    Der Urlaub der dünnen Luft

Ja, es sollte ein Urlaub werden, der aus dem Rahmen fällt: fernab jeder Zivilsation, bewusster Verzicht auf jeden Komfort, körperliche Höchstleis-tung – wo Männer (und Frauen!) noch ganze Männer (und ganze Frauen!) sein können: Abenteuer pur eben!

Nepal -Tibet – Indien! Über das Dach der Welt hin zum Taj Mahal – dem Monument einer großen Liebe.

 

Unser erster Stopp ist Indiens Hauptstadt Neu Delhi. Nur ein Zwischen-stopp. Am nächsten Mor-gen soll es weitergehen nach Kathmandu, von dort 2 Tage später Weiterflug nach Lhasa, dann per Jeep zirka 1000 Kilometer durch den Himalaya zurück nach Kathmandu!

 

Bis hierhin alles mit Hilfe von einheimischen Führern. Dann als krönenden Abschluss noch ein 3-Tage-Aufenthalt in Indien mit der Besichtigung des legendären Taj Mahal in Agra. Dieser Teil, nach altbewährter Manier, mit geliehenem Auto und auf eigene Faust.

 

Neu-Delhi erschlägt uns mit der für den Fernen Osten so typischen klebrigen Luft. Die hohe Luft-feuchtigkeit treibt den Schweiß aus den Poren schneller als man ein Hemd wechseln kann. Was uns aber wirklich Kummer bereitet, ist diese absolut chaotische Millionenstadt mit ihren unend-lichen Strömen von hupenden und stinkenden Zwei–und Vierrädern und mit ihren schreienden und brüllenden Zwei–und Vierbeinern, das alles gewürzt mit Smog und Schweiß!

 

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Wir übernachten in einem Hotel in bestem altehrwürdig-engli-schem Kolonialstil. Doch am nächsten Morgen verstärkt sich auf der Fahrt zum Flughafen der üble Eindruck vom Vortag und schnürt noch ein wenig mehr den Knoten im Magen zu. Jeder fährt wie er will–und das noch in atemberaubendem Tempo. Zum ersten Mal habe ich Angst vor unserer eigenen Courage.

 

Nirgendwo Hinweisschilder und wenn doch–dann in einer Schrift, die keiner lesen kann. Grundgütiger Himmel! Die uns zur Verfügung stehenden 3 Tage werden wir allein aufbrauchen, um den Ausgang aus dieser Albtraumstadt zu finden!

 

Und dann das Wunder!

 

In der Abflughalle, da, wo es schon gar keinen Sinn mehr macht zu stehen, weil die Passagiere schließlich das Land verlassen, steht ein junger Mann und verkauft Ausflüge! Auch 3-Tage-Ausflüge zum Taj Mahal, eigener PKW mit ortskundigem Fahrer, inklusive Unterkunft und Verpflegung zu einem geradezu lächerlichen Preis!

 

Die Lösung unseres Problems???

 

Auf jeden Fall drücke ich ihm die Ankunftszeit und die Flugnummer unseres Fliegers aus Kathmandu in 14 Tagen in die Hand. Er verspricht mir dazusein.

 

 

 

 

 

 

Wir sind in Nepal gelandet, einem Land, das man bestenfalls aus den Kreuzworträtseln kennt (Königreich im Himalaya mit 5 Buchstaben!)

 

 

 

 

 

Und dann der Hammer: Fritz‘ Koffer mit all den warmen Kleidern, die er für die Himalayatour braucht, ist nicht angekommen! Jetzt ist guter Rat sehr teuer. Wir gehen kurzerhand die möglichen Alternativen durch:

 

Variante A: spontaner Kauf einer Jacke von der Stange fällt weg. Der männliche Durchschnitts-nepalese reicht meinem Mann gerade mal bis zu den Achseln.

 

Variante B: Über Nacht eine neue Garderobe stricken oder schneidern lassen halten wir für nicht machbar.

 

oder C: der Dame von der Airline Glauben schenken, die beteuert, dass der Koffer garantiert am nächsten Morgen mit der Frühmaschine nachkommen wird.

 

Ihr Wort in Buddhas Ohr! Wir entscheiden uns für C!

 

 

Falsche Entscheidungen!

 

Der Koffer ist am nächsten Tag nicht da. B wäre richtig gewesen, denn eine nepale-sische Großfamilie schneidert schon mal eine Nacht durch und präsentiert am nächsten Morgen mühelos eine perfekt sitzende Garderobe. Aber jetzt ist es zu spät. Der Flieger nach Lhasa wartet nicht.

 

Mein Gott, irgendwo in Tibet wird es doch einen Yeti geben, der Fritz mit einer Jacke aushelfen kann!

 

 

 

 

In Lhasa angekommen gehen wir wie auf Watte. Die Stadt liegt auf 3800 Meter Höhe, und die Luft ist entsetzlich dünn. Die Sonne knallt von einem wolkenlosen Himmel auf uns nieder. Kopfschmerzen kündigen sich an.

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Der Potala!

 

Der Palast des legendä-ren Dalai Lama, der 1953 vor den kommunisti-schen Trup-pen Chinas ins indische Asyl fliehen musste.

 

Majestätisch erhebt er sich über der Stadt mit seinen Hunderten von Treppen und Tausenden von Fenstern. Für mich war er immer schon der Inbegriff unendlicher Fernen und unbekannter Kulturen auf dem Dach der Welt.

 

Jetzt stehen wir davor und staunen.

 

Doch so gigantisch und beeindruckend er von außen auch aussieht–von innen ist er ein rechter Alptraum. Auch ohne klaustrophobisch veranlagt zu sein, verlangt ein Besuch einem das Äußerste ab. Wir schlängeln uns durch dunkle Gänge, steigen fast senkrecht verlaufende Treppen rauf und runter, mit Trittflächen von gerade mal ein paar Zenti-metern, besichtigen Hunderte von Buddha-Statuen, alle in gespenstischem Halbdunkel, nur erhellt von einer Unzahl von kleinen Kerzen, die wiederum gespeist werden von dem von Besuchern mitge-brachten Yak-Butterfett, das, ranzig und stinkend, einem den letzten Atem raubt. Ich muss die letzten Reserven an Energie und Willenskraft mobilisieren, um nicht umzukippen.

Der von mir hochgeschätzte Dalai Lama tut gut daran, den Duft der großen weiten Welt zu genießen. In seinem Palast zuhause möfft und stinkt es entsetzlich.

 

 

Wir versuchen unseren Dolmet-scher aus der Reserve zu locken und befragen ihn nach seinen politi-schen Ansichten. Keine Chance! Plötzlich versteht er kein Deutsch mehr, jede Diskussion über Politik und vor allem über das chinesisch-tibetanische Verhältnis endet in Achselzucken.

 

Aber auch ohne die Erklärungen des Dolmetschers wird deutlich: Hier wurden einem Volk die Wurzeln genommen! Diese bestanden nämlich in einer tiefen Frömmigkeit, die Armut und Bescheidenheit, Friedfertigkeit und Respekt vor dem anderen zur Selbstverständlichkeit erhob. Mit der Invasion der Chinesen wurden 4800 von den insgesamt 6000 Klöstern dem Erdboden gleichgemacht. „Fortschritt“ in der Gestalt von Streben nach Wohlstand und Kapital trat an die Stelle der alten Werte, mit der Folge, dass ein ganzes Volk völlig desorientiert zwischen Vergangenheit und Zukunft herumirrt.

 

Bezeichnend ist, dass Ende der 90er Jahre die chinesische Besatzungsmacht ein paar Hundertschaften von Huren in das Land des Dalai Lama schickte, um die Moral zu untergra-ben.

 

Statt Klöster – Bordelle! Welch eine Katastrophe!

 

Wir starten unsere Rundreise mit ausgesprochen mulmigem Gefühl. Fritz‘ einziger halbwegs warmer Pullover stammt aus meiner Garderobe. Die Tibeter haben sich von ähnlich mickriger Figur wie ihre nepalesischen Nachbarn erwiesen, und warme Kleidung ist nirgend-wo zu kriegen gewesen.

 

Mit an Bord unseres Wagens (einem Mittelding zwischen einem Jeep und einem Kleinbus) sind noch 2 Hessen und 2 Belgier. Wichtigstes Utensil für unseren Fahrer sind Pickel und Schaufel.

 

Mir ist schleierhaft, welche Routen er fährt, denn die Straße ist nicht mehr als ein paar Reifenspuren. Zwischendurch bricht uns schon mal der Weg weg, dann sind Schaufel und Pickel gefragt. Mitunter treffen wir auf andere Fahrzeuge, die im Schlamm stecken geblieben sind. Dann wird unbürokratisch und selbstlos Hilfe geleistet und angepackt. Und die männlichen Expeditionsteilnehmer sind herzlich eingeladen beim Schieben zu helfen.

 

Machen wir doch gerne! Das hat man doch selten, dass man noch zu einem kostenlosen Höhentraining kommt!

 

 

Wir sind weit weg von jeder Zivilisation.Soweit das Auge reicht, gibt es keine menschlichen Behausungen.

 

Und dann, wir trauen unseren Augen kaum, stehen plötzlich 2 Kinder, vielleicht zwischen 4 und 8 Jahren, am Straßenrand, nackt wie Gott sie schuf, und schauen uns nur an. Wir sind von der Situation ziemlich überfordert, würden den Kleinen gerne etwas Geld zustecken. Aber wo ist der nächste Supermarkt, wo man die Scheine in Gummibärchen umsetzen könnte? Auch sonst beliebte Mitbringsel wie Kugelschreiber erweisen sich als wenig sinnvoll angesichts der Tatsache, dass die Kinder wohl noch nie ein Stück Papier in der Hand gehabt haben. Am erfolgreichsten bin ich noch mit meinen verschrumpelten Äpfeln, die ich vom Frühstückstisch mitgenommen habe, gedacht dazu, den täglichen Vitaminhaushalt zu decken. 

 

Aber angesichts der erbärmlichen Nacktheit der Kinder auf circa 3500 mehr Meter Höhe hat Fritz sich jedes Anrecht auf Mitleid verscherzt. Jedes Jammern über Kälte würde ab sofort als nicht akzeptable Verweichlichung abgetan werden.

 

 

Zu Fritz‘ Ehrenrettung sei gesagt: er hat zu keinem Zeitpunkt gejammert, er ist halt ein ganzer Mann! Und das Klima ist tatsäch-lich erträglich.

 

Überhaupt sind wir überrascht, dass auf dieser Höhe weder Eis noch Schnee zu finden sind. Der höchste Pass, den wir überqueren werden, liegt auf 5400 Meter. Und selbst der ist eisfrei.

 

Kehrseite der Medaille ist, dass die Landschaft wenig attraktiv ist. Ab und zu sind ein paar Anhöhen weiß. Dann gestikuliert der Führer ganz aufgeregt: „Guck! Schneeberge!“

 

Einen Tag später hält der Jeep auf offener Strecke an. Vor uns bietet ein halbes Dutzend Kinder Steine an, die sich bei näherem Hinsehen als waschechte Ammoniten entpuppen, wunderschön ausgeformt und von beachtlicher Größe. Wir tauschen gegen belanglosen Krimskrams wie Seife oder Zahnpasta ein.

 

Welch eine Vorstellung, versteinerte Zeugen einer Zeit in der Hand zu halten, als dieser Boden, auf dem wir jetzt stehen und nach Luft japsen, (wir sind auf fast 4000 Meter Höhe) von Meerwasser bedeckt war!

 

 

 

 

Auf unserer Reise, irgendwo in einem namenlosen Ort, hält unser Jeep, und wir machen Mittag. Wir sitzen in einem „Restaurant“ mit großen Fensterscheiben, auf dass uns auch keine Sehenswürdigkeit entgehe. Auf der Speisekarte steht Huhn mit Reis, davor eine Suppe, danach ein Apfel.

 

Fritz freut sich, als er, rein zufällig, unter einem Berg von Reis einen rachitischen Hühnerschenkel findet. Wahrscheinlich zu seinen Lebzeiten ein Marathonläufer so fleischlos und sehnig ist der Namensgeber dieses Gerichts. Wir amüsieren uns gut gelaunt darüber.

 

Aber dann wird die Szenerie bedrückend. Vor unserem Fenster versammeln sich immer mehr Menschen–und dann kapieren wir: die Sehenswürdigkeit–das sind wir! Hungrige Augen blicken auf unsere Teller. Da bleibt uns der Bissen im Hals stecken!

 

Nachdem abgeräumt ist, gibt es draußen Tumult. Ich gehe raus, und bin entsetzt. Da stehen die Leute vor der Tür mit Plastiktüten und sammeln unsere Essensreste ein. Über die Reisreste wird noch die Suppe geschüttet–damit wird locker eine sechsköpfige Familie satt.

 

Wir sind allesamt erschüttert und beschließen, jeder ein weiteres Essen zu ordern, das wir dann weitergeben wollen. Aber unser Dolmetscher winkt ab. Das ginge nicht, weil das Restaurant nur auf unsere begrenzte Anzahl von Gästen vorratsmäßig eingestellt sei.

 

 

 

Wie machen in Ghangzhiu Rast.

Der Ort bietet einen hüb-schen Eingeborenenmarkt, über den wir jetzt bummeln. Fritz hat seinen Arm um meine Schultern gelegt, und wir genießen die entspannte Atmosphäre. Vor uns beobachtet uns eine Gruppe von jungen Frauen mit unverhohlener Aufmerk-samkeit. Vor allem meinen Mann fressen die Gänschen fast mit ihren Augen auf: blond, blauäugig und langnasig ist er das unerreichte Schönheitsideal der Asiaten. Außerdem ist kaum anzunehmen, dass die tibetanischen Ehemänner in der Öffentlichkeit so liebevoll mit ihren Frauen umgehen.

 

Da löst sich die Kühnste ihrer Spezies aus dem Hühnerhaufen, baut sich vor Fritz auf, schürzt die Lippen zu einem Kussmund und zeigt auf mich. Die Botschaft ist eigentlich eindeutig: Sie will, dass Fritz mir einen Kuss gibt.

 

Doch dieser Himmelhund versteht mit Absicht falsch, packt die plattnasige Maid an beiden Oberarmen und drückt ihr den Schmatz auf die Wange. Jetzt ist auf dem Markt der Teufel los! Da wird geschnattert und gegackert und gekichert und immer wieder zeigt die Gebenedeite unter den tibetanischen Frauen glückselig mit dem Finger auf die Stelle, wo der Kuss dieses langnasigen Lümmels sie getroffen hat.

 

Jede Wette, dass sie sich in den nächsten Wochen hier nicht mehr waschen wird.

So amüsant die Szene auch ist –Ich bin froh, dass die Sache so glimpflich abgeht. Wir kennen die tibetanischen Gepflogenheiten zu wenig. Wie nun, wenn dieser Kuss so etwas wie einem Heiratsver-sprechen gleichgekommen wäre?

 

Wie‘s Gewitter hätte ich dann eine mondgesichtige Nebenfrau im Wohnzimmer sitzen!

 

 

Unser Jeep wird auf der Anhöhe gesichtet, und unten im Tal, wo es gerademal eine Handvoll Gebäude gibt, darunter unser Hotel, werden die Generatoren in Gang gesetzt.

 

Wir wären dankbar für ein paar Sherpas, die uns das Gepäck in den 2. Stock tragen würden, aber die sitzen wahrscheinlich im Keller und treten die Pedale, mit funzeligem Licht und halbwarmem Essen als Ergebnis. Wir schleppen die Koffer also selbst hoch – ganzen Männern (und ganzen Frauen!) macht das doch nichts aus!

 

Oben angekommen, repariert Fritz erst einmal die klemmende Zimmertür und den tropfenden Wasserhahn. Die „Betten“ sind nicht mehr als ein paar harte Pritschen. Mitten in der Nacht wache ich auf und sehe im Schein der Lichtfunsel eine fette graue Spinne auf meinem Zeigefinger sitzen.

 

Welch ein Teufel hat uns geritten, so vollmundig auf jeden Komfort verzichten zu wollen???

 

Dabei werden wir noch nicht einmal so recht entschädigt für unsere Strapazen. Die Landschaft hält bei weitem nicht das, was wir uns von ihr versprochen haben. Wenn man sich beständig auf circa 4000 Meter Höhe bewegt, dann ist ein Fünftausender und selbst ein Sechstausender nicht unbedingt eine erhebende Erhebung. Unsere Alpen, die Anden oder gar die nordamerikanischen Rocky Mountains bieten da ein ganz anderes Panorama. Selbst die neuseeländischen Dreitausender sind mit ihren Schneegipfeln spektakulärer!

 

 

Den übelsten Streich aber spielt uns der Mount Everest.

 

Über den stolpern wir fast, aber sehen tun wir ihn nicht. Schlecht gelaunt hat er sich, nur 60 Kilo-meter von uns entfernt, in einen undurchdringlich nebligen Wolken-mantel gehüllt.

 

Unser Führer tröstet uns, wir sollen das nicht persönlich nehmen, das täte ihr Chomolunga an etwa 300 Tagen im Jahr.

 

Da bleibt uns als kleiner Trost, dass wir beim Hinflug seine Spitze über den Wolken gesehen haben.

 

Wer die Himalaya-Tour machen will, um die Achttausender in ihrer ganzen Erhabenheit zu sehen, dem sei empfohlen, von der nepalesischen Seite aus einen Flieger zu chartern. Da dürfte das Spectaculum am spektakulärsten sein.

 

Das ist jedoch nicht ohne Risiko: Die Flieger stürzen nämlich mitunter auch schon mal ab.

 

Aber: No risk no fun!

 

 

Stichwort abstürzen!

 

Der letzte Tag soll laut Programm der landschaftlich beeindruckendste werden. 1200 Meter Höhenunterschiede sollen in endlosen Serpentinen bergab-wärts bewältigt werden.

 

Was das Programm verschämt verschweigt, ist, dass die Abhänge fast senkrecht abfallen. Die Straßen, so schmal dass wir auch ohne Gegenverkehr ständig mit 2 Rädern im Abgrund hängen, sind in die Felsen gehauen. Nicht nur, dass das durch den Regen lose Gestein ständig droht unter uns wegzubrechen–mitunter liegt Geröll auf dem Weg, das erst weggeräumt werden muss und uns nachhaltig daran erinnert, dass eine nicht unerheb-liche Gefahr darin besteht, das alles Gute (in diesem Fall losgelöstes Gestein) auch von oben kommen kann.

 

Belgierwitze haben wir schon seit einiger Zeit nicht mehr gehört. Jetzt verstummen auch die Hessenwitze. Genau genommen ist es totenstill in unserem Gefährt. Unser Führer versucht die Stimmung zu retten, indem er auf die durchaus beeindruckenden Wasserfälle verweist, die mehrere 100 Meter tief in die Tiefe stürzen.

 

Als wir endlich unten ankommen, entlädt sich die ungeheure Spannung fast explosionsartig. Wir kippen uns einen hochprozentigen einheimischen Fusel hinter die Binde und sind einfach nur froh dass wir noch leben!

 

 

Am nächsten Morgen noch ein klitzekleiner Stolperstein. In Zhangmu endet die tibetanische Betreuung unserer kleinen Reisegruppe an der Grenze. Die nepale-sische Grenze jedoch ist etwa 8 Kilometer entfernt. Dieses Niemandsland gilt es zu überbrücken.

 

Unser Führer organisiert als kleines Abschieds-geschenk einen Vieh-laster, der unsere Koffer transportieren soll. Um die brauchen wir uns also nicht mehr zu kümmern.

 

Aber wir? Sollen wir uns wirklich einen stunden-langen Gewaltmarsch antun bei immer noch dünner Luft?

 

Hinzu kommt, dass unser belgischer Freund vom gestrigen Besäufnis immer noch Magenkrämpfe hat.

 

Wir handeln also aus, dass wir ebenfalls mit dem Viehtransporter und mit unserem Gepäck fahren.

 

Als wir auf der Ladefläche verstaut sind, schließt der Fahrer die Plane, als ob er besonders unappetitliches Schmuggelgut transportiere.

 

Dann fährt er los, und wir hängen hilflos an den Stangen, an denen die Planen befestigt sind. Wir werden durchgeschüttelt, bis uns jeder Knochen einzeln weh tut. An einer Stelle fliegt die Plane etwas hoch und wir kriegen mit, dass wir schon wieder mit 2 Rädern überm Abgrund hängen. Fritz schließt die Plane wieder ganz sorgfältig. Wir wollen gar nichts mehr sehen.

 

Auch die längsten 8 Kilometer meines Lebens gehen irgendwann einmal zu Ende und wir stehen an der nepalesischen „Brücke der Freundschaft“. Dem Namen der Brücke entsprechend werden wir von bewaffneten Militärs in Empfang genommen, die misstrauisch beäugen, wie wir aus dem Viehlaster herauskriechen. Aber unsere Papiere sind in Ordnung, und so können wir passieren.

 

Und dann sitzen wir wieder in unserem Bus, der uns zu unserem Hotel in Kathmandu zurückbringt. Der muffige Geruch, der uns hier am Anfang so gestört hat, erscheint uns nun lieblicher als alle Wohlgerüche des Orients.

 

Nach einer heißen Dusche zischt eine eisgekühlte Cola–und die Zivilisation hat uns wieder.

Fritz‘ Koffer ist wieder da, allerdings stark geplündert. Ich trauere vor allem der Flasche Marbert Man hinterher, die meinem Mann einen so männlichen Duft verleiht. Fritz bedauert den Verlust seiner Zigarren.

 

Aber trotzdem ist er froh, dass er jetzt, wo es in das stickig heiße Indien geht, wieder im Besitz seiner warmen Rollkragenpullover und der wattierten Jacke ist!

 

 

 

Jawohl: Er ist da!

 

Als wir in Neu Delhi landen, nimmt uns der Junge in Empfang, der uns 14 Tage vorher den Ausflug verkau-fen wollte. Wir lassen uns auf das Abenteuer ein –und tun gut daran!

 

Ein alter Bentley steht für uns bereit, wir nehmen auf dem Rücksitz Platz und machen uns, Sahib und Memsahib, auf den Weg. Unser Fahrer Kamal hat weiße Handschuhe an und überschlägt sich jedes Mal fast, um mir rechtzeitig die Tür aufhalten zu können, wenn wir anhalten. Da schimmert immer noch altes koloniales Gedankengut durch.

 

Wir erleben 3 unbeschwerte Tage, dank Kamals professioneller Führung. Er zeigt uns auf dem Weg liegende Prunkbauten und historische Stätten, die wir, auf uns gestellt, unbeachtet links hätten liegen lassen. Wir übernachten und tafeln im fantastischen Trident Hotel, ein Luxus, den wir uns sonst nicht geleistet hätten, und reiten auf Elefanten hoch zur Festung in Agra.

 

Fritz versucht, unter dem herzlichen Gelächter der Umstehenden, per Flöten-spiel eine Kobra zu beschwören, aber die Schlange denkt sich in Anbetracht der Mißtöne ihren Teil und bleibt im Korb.

 

 

Und dann das Taj Mahal!

 

Wir versuchen vergeblich, einen frühzeitigen Blick darauf zu erhaschen, aber die Mauern im Eingangsbereich sind einfach zu hoch.

 

Dann jedoch kommen wir um eine Biegung – und das einzigartige Gebäude präsentiert sich auf einen Schlag in seiner ganzen Majestät. Der Anblick ist so atemberaubend, dass ich mich hinsetze und mindestens 10 Minuten lang nur einfach schaue!

 

Der blendend weiße Marmor, die harmoni-schen Propor-tionen, die gepflegten Gärten - und all das einge-bettet in die anrührende Liebesge-schichte zwischen dem Maharadscha und seiner über alles geliebten Gattin–all diese Eindrücke münden in eine eigentümlich betäubende Stimmung, der man sich kaum entziehen kann.

 

Wir lassen das architektonische Kunstwerk ausgie-big auf uns wirken und machen uns mit der Liebesgeschichte vertraut, die zu seiner Errichtung führte.

 

Deren Ende ist weniger prosaisch. Der Maharadscha hatte nach dem Tod seiner Frau offenbar den Verstand verloren. Neben anderen ebenso kostspieligen wie unsinnigen Vorhaben wollte er zum Beispiel das gleiche Grabmal für sich, diesmal in schwarzem Marmor, daneben errichten.

 

Darauf hat der um die gefledderten Staatsfinanzen besorgte Sohn seinen alten Herrn für komplett durchgeknallt erklärt und ihn kurzerhand festsetzen lassen, allerdings so, dass er immer einen freien Blick auf das Grabmal seiner Frau hatte. Ende einer großen Liebesgeschichte!

 

 

Und das Ende unserer Reise!

 

Über Jaipur und den „Palast der Winde“ fährt uns Kamal wieder zurück nach Delhi. Fritz und ich sind uns einig, dass der indische Abstecher unserer stressigen Reise noch einige richtige Glanzpunkte aufgesetzt hat.

 

Alles in allem sind wir recht zufrieden mit uns. Wir haben uns als belastungsfähig erwiesen, die üblen Strapazen gut weggesteckt und auch sonst aus jeder noch so unkonfortablen Situation das Beste gemacht.

 

So wie es sich für ganze Männer (und ganze Frauen!) gehört.