Urlaub 2022: Auf Kreuzfahrt am Roten Meer

 

Die Ankunft in Hurghada ist alles andere als vielversprechend.

Ich suche die Gruppe, die sich um den TUI-Veranstalter schart. Aber niemand ist zu sehen. Der lokale Anbieter ist Croisi-Mer, aber der Mann mit dem entsprechenden Schild in der Hand steht weit und breit allein. Ich spreche ihn an in der Hoffnung, dass er mehr über meine Gruppe weiß, aber dann stellt sich heraus, dass ich die Gruppe bin.                                                                                           Und daran wird sich auch weiterhin nichts ändern: Ich bin in der Tat die einzige Deutsche an Bord – ein Unikat.                                                                                                    Es gibt noch ein weiteres von dieser Sorte: ein Grieche. Aber der ist, außer seiner Muttersprache, zu keinen anderen zivilisierten Lauten fähig und informiert sich lieber aus seinem Reiseführer.

 

Die Reisegesellschaft setzt sich zwar aus etlichen Nationen zusammen, ist aber in einem Punkt erstaunlich homogen: Alle weisen ein gehobenes Alter auf. Alle haben sich offensichtlich aus dem Vorweihnachtsstress ausgeklinkt und ihn ihren Kindern überlassen. Wahrscheinlich haben die ihre Altvorderen auf Kreuzfahrt geschickt, damit sie aus den Füßen sind. Aber jetzt sollte ich schleunigst aufhören zu lästern – schließlich gehöre ich auch dazu.

Am ersten Abend sitze ich beim Abendessen allein am Tisch. Die Reisegesellschaft ist noch nicht vollständig eingetroffen, im Speisesaal befindet sich gerade mal ein gutes Dutzend Gäste. Ich fühle mich etwas verloren.     

     

Einen Abend später trauere ich diesem Zustand hinterher. Zu meiner Rechten sitzt eine Französin, chronisch gut gelaunt, und haut eine Albernheit nach der andern raus, ein nicht zu bremsender Redeschwall, der mich meine ganze Konzentration kostet. Die Dame nervt ohne Ende.                                                                                                        Das ist nur zu toppen durch meine Nachbarin zur Linken. Eine Slowakin, sicherlich herzens-gut. Sie versucht sich mit dem harten Akzent der Osteuropäer an der geschmeidigen französischen Sprache, mit dem Erfolg, dass ich bestenfalls in acht von zehn Fällen nur raten kann, was sie meint. Das geht übrigens den beiden anderen Mitreisenden nicht anders.          

Da ist mir mein Gegenüber noch am liebsten. Die sagt gar nix.                                                        

Die Schiffsbesatzung stellt sich am folgenden Abend vor. 

                                              Der kroatische Kapitän, ein gestandenes Mannsbild, macht bella figura in seiner schmucken Uniform und könnte leicht als „Kapitän der Herzen“ in einer unserer Traumschiff-Episoden durchgehen. Die Gästebetreuerin hingegen ist was fürs männliche Auge. Da gucken die Männer zweimal hin – sofern sie noch nicht jenseits von gut und böse sind. Lauter schöne Menschen! M                                                                                          Und freundlich dazu!  Die philippinischen Kellner an unserem Tisch scheinen jedes Mal glücklich zu sein, wenn wir ihnen erlauben, die Gläser nachzufüllen.

 

Und ein Talent fürs Entertainment hat die Crew auch. Einen Abend lang unterhalten die Barmänner, Zimmermädchen und Kellner die Gäste mit Gesangseinlagen. Da sind wirklich schöne Stimmen dabei, und die Trefferquote an richtigen Tönen ist bemerkenswert hoch.                                                                                                                                  Nur der portugiesische Chefstewart kämpft mit einer großen Traurigkeit, seitdem Portugal im Viertelfinale aus der WM ausgeschieden ist. Was soll ich als Deutsche denn da sagen!? Wir haben ja noch nicht einmal die Vorrunde überstanden. Wir vergießen ein paar gemeinsame Tränen aus Kummer über das Versagen unserer kickenden Landsleute. 

 

Soll mal einer sagen, dass Fußball nicht völkerverbindende Elemente hat!

Dass wir in einem Land sind, das erhebliche Sicherheits-probleme hat, erleben wir bei einem Landgang in Sharm el Sheikh.

Vor dem Schiff wartet ein Bus, in den wir einsteigen, wir werden durchgezählt, dann nach Nationen geordnet (was in meinem Fall schnell passiert ist), dann fährt der Bus ganze 200 Meter (ich übertreibe nicht!), dann müssen wir wieder aussteigen, das Handgepäck wird gescannt, der Bus gefilzt, er fährt wieder 20 Meter vor und wir dürfen wieder einsteigen. Die Szene ist einfach nur komisch, angesichts der Tatsache, dass unser fahrendes Altersheim doch nun wirklich harmlos ist. Die einzigen terroristischen Waffen sind bestenfalls die Gehhilfen. 

Aber Vorschrift ist nun mal Vorschrift.     

Die hochgepriesene Unterwasserwelt des Roten Meeres gibt keine Fotos her, es sei denn, man steht auf weiße Korallen. Das liegt nicht nur an den schmutzigen Glasscheiben, sondern auch daran, dass die Fischpopulation reichlich mager ist. Meine Mitreisenden sind mit wenig zufrieden und geraten jedes Mal in Verzückung, wenn ein nicht grauer Fisch von mehr als 10 Zentimeter Länge in ihr Blickfeld kommt.     

 

Ich denke wehmütig an unsere Tauchgänge am Great Barrier Reef vor fast 30 Jahren, als wir in einer knatsch-bunten Unterwasserwelt mit leuchtend roten Korallen zusammen mit Haifischen getaucht sind.                               

                                                                                        Die gleichen frustrierenden Erfahrungen mit toten Korallen haben wir vor 4 Jahren auch auf den Malediven gemacht.                                                                                            Was die Zerstörung dieses einzigartigen Lebensraumes betrifft – da haben wir Menschen ganze Arbeit geleistet. 

Am dritten Tag steht der absolute Höhepunkt an: Petra, die geheim-nisvolle Stadt der Nabatäer aus dem 4. vorchristlichen Jahrhun-dert, versteckt in einem Gewirr von engen Felsschluchten, deren bizarre Wände mehr als 100 Meter hochragen. Ein unvergesslicher Fußmarsch von etwas mehr als einem Kilometer – und wir stehen vor dem berühmten Schatzhaus, das allerdings zu keinem Zeitpunkt irgendwelche Schätze beinhaltet hat. Tut dem majestätischen Anblick aber keinen Abbruch.

 

 

 

Der Weg führt weiter auf staubigen Pfaden zu weiteren historischen Stätten: eine Wand mit Urnengräbern, das Seidengrab, das Palastgrab, die Hochaltäre, das Amphitheater. Seit zweieinhalb tausend Jahren warten die beeindruckenden Stätten auf ihre Bewunderer.  

    

Die kommen mittlerweile in rauen Mengen. Seitdem sich Jordanien mit Israel wieder ausgesöhnt hat, ist die politische Lage entspannt, was den Besucherstrom fördert.

Die Nabatäer selbst waren wohl keine begnadeten Hand-werker gewesen. Deshalb holten sie sich Gastarbeiter aus Griechenland und Rom. Aber keine Baumeister, sondern Steinmetze und Bildhauer. Denn nichts wurde in Petra neu erbaut, alles nur aus dem Fels herausgehauen.                                                                                                            Das wiederum war nun relativ einfach: Man musste nur alles weggmeißeln, was nicht dazugehörte – und schon hatte man eine zweistöckige Säulenkonstruktion von atemberau-bender Schönheit. (Sorry! Alter Bildhauerwitz! Ist nicht von mir!)

 

Heute hat Petra nichts Geheimnisvolles mehr an sich. Eine moderne Mittelstadt hat sich am Eingang zu den Fels-schluchten gebildet. Die unvermeidlichen Souvenirhändler bedrängen die Touristen, Pferde- und Kamelbesitzer bieten ihre Dienste an, so dass man auch staubfreien Fußes bis zum Schatzhaus gelangen kann.                                        Diese Bilder hat uns Indiana Jones vorenthalten. Sie hätten die Idylle von Einsamkeit und abenteuerlicher Abgeschie-denheit nachhaltig gestört.

 

Unser jordanischer Führer gibt uns interessante Infos über Land und Leute, Geschichte und Kultur. Die Ausführungen werden mitunter gar hochphilo-sophisch, z.B. wenn er es als einen besonderen Glücksfall ansieht, dass das Land keine Ölquellen hat und bitter arm ist (aber überreich an palästinen-sischen Flüchtlingen!) Das bewahrt Jordanien davor, Gegenstand von Begehrlichkeiten reicher Supermächte zu werden.                                                                 

So kann man es natürlich auch sehen.

 

Am nächsten Tag: Schauplatzwechsel. Das Wadi Rum ist die Landschaft, wo Lawrence von Arabien gewirkt hat und wo auch der gleichnamige Film mit Peter O’Toole und Omar Sharif gedreht wurde.                                                                                                                                              Es handelt sich hierbei nicht um eine Sandwüste wie die Sahara. Aus einer absolut flachen Ebene wachsen mächtige Felsformationen heraus – bizarr und abenteuerlich wild. Außer für den berühmten Klassiker ist diese Gegend auch Kulisse für irgendeinen Science-fiction-Film, der auf dem Mars spielt. Passt!

 

Am letzten Tag wird es dann noch einmal richtig stressig:

 

Abfahrt um 5 Uhr nachts zu einer Besichtigung der Pharao-nengräber im Tal der Könige. Fast 10 Stunden sind wir im Bus, bis wir spät abends wieder auf dem Schiff ankommen.                                                                  

Aber es hat sich gelohnt. Die Grabkammern (v.a.die Sethos I) sind ungemein beeindruckend. Im Laufe der Jahrtausende haben diese Stätten nichts von ihrer Faszination verloren. Selbst die Farben strahlen noch.                                                                                                                    Überall sind wir umgeben von Symbolik, was dem Leben der Menschen in der damaligen Zeit feste Strukturen gegeben hat. Der Nil teilte das Land in zwei Hälften: Das Westufer galt den Lebenden, das Ostufer den Toten. Dazwischen keine Überbrückbarkeit. Auch heute nicht. Als wir, aus der Welt der Toten kommend, zu einem sehr leiblichen Mittag-essen streben, werden wir mit Motorbooten übergesetzt. In der Zwischenzeit muss der Bus weite Umwege fahren, bis er eine Brücke findet, die ihn ans andere Ufer führt.

 

Es sind vor allem die Bilder in den Grabkammern, die Aufschluss geben über das Leben der Menschen damals. Faszinierend auch in unserer kopflastigen, aufgeklärten Zeit: der Totenkult der alten Ägypter. Da geht im Moment des Sterbens die Seele auf in den Weiten des Universums. Ein toter Pharao muss auf den Prüfstand und 42 Fragen zu seinem Leben beantworten, die Osiris, der Totengott, ihm stellt. Dann kommt die Federprüfung. Wenn das Herz des Pharaos leichter ist als eine Feder, kommt es zur Vereinigung mit Re, dem Sonnengott: Gott und Pharao werden eins, er steigt in die Barke der Sonne und darf aufsteigen.

Beim genauen Hinsehen kommt es zu überraschenden Übereinstimmungen mit dem Christentum (auf die übrigens schon Eugen Drewermann hingewiesen hat): Auch die Ägypter hatten schon eine Dreifaltigkeit. Die Prüfungen nach dem Tod und die Rechenschaft über das gelebte Leben kennen wir als Jüngstes Gericht, und Jesu Himmelfahrt und die Wiedervereini-gung mit seinem Vater ist haargenau auch bei den Ägyptern so dargestellt. Lediglich die Barke der Sonne fehlt. Wie Jesus in den Himmel aufgefahren ist, wird nicht im Detail beschrieben. Aber selbst die 40 Tage zwischen Tod und Himmelfahrt sind identisch in beiden Religionen. Wenn man bedenkt, dass die ägyptische Kultur beträchtlich älter ist als das Christentum, dann ist klar, wer von wem geklaut hat.

 

 

In Karnak lustwandeln wir durch die gigantischen Säulen im großen Säulensaal. Immerhin 130 an der Zahl. Auch hier wird nochmals deutlich, was Hochkulturen vor mehr als 4ooo Jahren zu leisten imstande waren.

 

Auf der langen Fahrt durch die steinige Wüste empfinde ich, mit ein paar tausend Jahren Verspätung, tiefes Mitgefühl mit den Hebräern, die 40 Jahre lang durch diese Mondlandschaft geirrt sind, bei Gluthitze, ohne Cola und ohne Fastfood-Läden an jeder Ecke, lediglich abgespeist mit ein wenig Manna und frisch aus dem Felsen geschlagenem Wasser. Wir freuen uns auf unser luxuriöses Schiff.

 

Am Abreisetag müssen wir uns darauf einstellen, dass uns nach den 39 Grad Hitze im Tal der Könige zuhause Minusgrade erwarten. Aber das nehmen wir in Kauf. Es hat sich rentiert.