Urlaub 2011: Indien

                        Im Land der Maharadschas

Unser Abstecher nach Indien liegt nun schon eine Ewigkeit zurück: 1998 hatten wir, auf der Rückreise von unserem Himalaya-Trip, diesem exotischen Land lediglich drei Tage gewidmet. Viel zu wenig – das war uns damals schon klar. Es hat einen Anlauf von 13 Jahren gebraucht, um Indien als Reiseziel wieder auf die Tagesordnung zu bringen.

 

Aber in diesem Jahr ist es soweit: Wir wollen dem Land der Maharadschas einen Besuch abstatten. Und diesmal viel gründlicher sein als das erste Mal. Indien ist wohl mehr als nur das Taj Mahal.

 

 

 

Bei der Ankunft in Neu Delhi schlägt uns die bekannte und gefürchtete feuchte Hitze entgegen. 98% Luftfeuchtigkeit sind keine Seltenheit – und das bei fast 40° im Schatten. Ich frage mich, ob das wirklich eine gute Idee war. Aber jetzt ist es zu spät für solche Überlegungen.

 

 

Das Chaos in der Hauptstadt ist noch genauso groß wie es vor 13 Jahren war.

 

Allerdings gibt es doch ein paar Fortschritte: Europäische Schrift-zeichen weisen auch dem west-lichen Ausländer den Weg, und den heiligen Kühen ist dieser Verkehr wohl doch zu hektisch. Jedenfalls gibt es keine, die die Autobahn blockieren, und das ist gut so.

 

Doch einige Kilometer weiter landeinwärts ändert sich das. Da muss der Busfahrer geduldig warten, weil eine Kuh behäbig mitten auf der Straße steht und sich nicht mehr rührt. „Vielleicht nützt Hupen was“, rege ich an. Der Reiseführer schaut resigniert. Wahrscheinlich habe ich ihm gerade einen Vorgeschmack davon gegeben, mit was für Banausen er es in den nächsten zwei Wochen zu tun haben wird.

 

Als sich das Vieh dann tatsächlich anschickt, sich hinzule-gen, um ein Mittagsschläfchen zu halten, geht ein genervtes Stöhnen durch den Bus. Doch der Fahrer tut mit großer Gelassenheit das, was die lange Schlange hinter uns auch tut: Er wendet ungerührt sein Fahrzeug und nimmt einen beträchtlichen Umweg in Kauf.

 

Hauptsache das Rindvieh wird nicht gestört!

 

 

 

 

Als wir am ersten Abend unsere Unterkunft erreichen, bleibt uns die Luft weg: Wir sind in einem echten Maharadscha-Palast untergekommen – ein Ambiente aus ‚1001 Nacht‘. Und das wird kein Einzelfall bleiben: Alle anderen Unterkünfte sind ebenso anspruchsvoll und ausgefallen – wir sind tatsächlich in einer anderen Welt gelandet.

 

Des Rätsels Lösung hängt mit der einzigartigen Geschichte dieses Landes zusammen, genauer: mit dem gewaltfreien Befreiungskampf von Mahatma Gandhi.

Als es Gandhi 1947 tatsächlich gelungen war, die britische Kolonialmacht aus dem Land zu werfen, machte er Nägel mit Köpfen. „Es ist nichts gewonnen“, sagte er seinem Volk, „wenn ihr die Briten verjagt habt, und nun den Maharad-schas Tribut zahlt.“

 

Es kam zu einer Teilenteignung der herrschenden Kasten: Die Maharadschas durften ihre Paläste und ihr Geld behalten, mussten jedoch ihren Großgrundbesitz abgeben. Das Land wurde an die einfache Landbevölkerung verteilt, unter der Auflage, dass es innerhalb von drei Jahren bebaut und bewirtschaftet wurde. Ansonsten ging es wieder an den Staat zurück.

 

Auch intelligente "Antikorruptionsmaß-nahmen“ wurden in Gang gesetzt: Beamte durften nur in einem Zeitraum von 2 Jahren an einem Ort wirken, dann wurden sie wieder versetzt. Sie hatten also keine Zeit, gut funktionierende Seilschaften aufzubauen, um sich zu bereichern. Nicht dumm! 

Die stinkreichen Maharadschas jedenfalls, die in der Regel über mehrere Paläste verfügten, funktionierten einen Teil ihrer Immobilien zu Hotels um.

 

Gut betuchte Touristen kommen so in den Genuss einer unglaublich prunkvollen und exotischen Unterkunft.

 

 

 

Die Rundreise durch Radjastan vermittelt uns einen Einblick in eine ganz besondere Kultur: Da sind die wunderbaren Tempel-anlagen des Hinduis-mus und daneben die kolonialen Prachtbau-ten der Briten – ein interessantes Gemisch zweier sehr gegensätzlicher Welten.

 

Doch was uns erstaunt, ist, dass das scheinbar Unverein-bare doch friedlich nebeneinander existiert. In einem unserer Maharadscha-Palästen wird das Abendessen auf einer Dachterrasse serviert: bombastisch, alles vom Feinsten – wie es sich eben gehört. Von unserem Tisch aus haben wir einen Blick in unendliche Fernen – und auf das angrenzende Viertel, in dem das gemeine Volk lebt: Wellblechhütten, nur sporadisch etwas elektrisches Licht, bitterste Armut.

 

Wir fragen uns, wie das funktionieren kann. Wieso muckt das Volk nicht auf, stürmt diesen Bonzenpalast und wirft die prassenden Nabobs (also uns!) von die Zinnen? Wie kann bitterarm und stinkreich so problemlos nebeneinander leben?

 

Die Erklärung ist rätselhaft und für unsere Kultur kaum nachvollziehbar: Sie liegt in dieser fatalistischen Religion begründet, die besagt, dass es dem Menschen eben vorherbestimmt ist, arm zu sein. Oder eben reich. Kein Grund also, dagegen aufzubegehren. Ist alles gut so!

 

Wir spüren in diesen Momenten, wie weit diese und unsere Wertewelten hier auseinanderklaffen.

 

 

 

 

Ein Bum-mel durch eine Stadt ist ein Ereignis von beacht-lichem Unter-haltungs-wert – in der Regel für die Einheimischen, wohlgemerkt. Was kann man den Fremden andrehen? Was lässt sich verkaufen?

 

Fritz hat sich einen Beutel mit Bananen gekauft, und im Nu ist er umgeben von einer Kinderschar. Ein kleiner pfiffiger Junge, vielleicht 4 Jahre alt, amüsiert uns besonders:

 

Er erbettelt sich eine Banane, beißt ein winziges Stück ab, dann wieselt er zu seiner Mutter, die etwas abseits steht, gibt ihr die restliche Banane, die wiederum damit ihr Kleinkind auf dem Arm füttert, und stellt sich wieder in die Reihe, um vielleicht noch ein Stück zu ergattern.

 

Die Lehre, die uns der Kleine hier verpasst, ist nicht selbst-verständlich: Armut führt nicht zur Ellbogenmentalität, sondern zu mehr Sorge füreinander.

 

 

In Bikaner wartet eine Erfahrung der besonderen Art auf uns: ein Besuch des berühmten Rattentempels Karni Mata.

 

Ich sehe dem Event mit reichlich gemischten Gefühlen entgegen: Obgleich wirklich tierlieb, kann ich mich für diese Biester nicht unbedingt begeistern, und ich spiele schon mit dem Gedanken, diesen Teil des Reiseprogramms zu schwänzen. Doch dann besinne ich mich einen Moment zu lange, und schon wird der Druck der Menschenmassen hinter mir so stark, dass an ein Umkehren nicht zu denken ist. Die Inder teilen meine Vorbehalte gegen die ekligen Nager nicht im Geringsten.

 

Vor dem Eintritt in den Tempel müssen wir die Schuhe ausziehen. Auch das noch! Gott sei Dank bekommen wir als verwöhnte Ausländer eine Art Stoffschuhe zum Überstreifen. Lausig dünn übrigens. Ich rechne jeden Moment damit, dass das fragile Material reißt und ich barfuß durch den Rattenkot waten muss.

 

Als wir die Haupthalle betreten, dreht sich mir der Magen rum. Tausende von Ratten, alle relativ klein und tiefschwarz, huschen kreuz und quer, zu meinem Entsetzen auch über meine Füße, verströmen einen Gestank, der einem die Sinne nimmt und fallen über die gut gefüllten Milchschalen oder andere, von den Besuchern mitgebrachten Essens-gaben her.

 

Die angesagte Herausforderung für die indischen Tempel-besucher ist es, die weiße Ratte zu finden, die angeblich in diesem Tempel haust. Der Rattengott sozusagen. Dann nämlich bricht gnadenlos eine Fülle von Glück, oder besser: günstiges Karma über dich herein.

 

Ich verschließe mich diesem Spielchen und strebe zielstre-big durch die immer enger und verwinkelter werdenden Gänge dem Ausgang zu.

 

Endlich wieder draußen und im Besitz meiner Schuhe atme ich tief durch. Selbst die stickig heiße Luft, die uns sonst so zu schaffen macht, wirkt wie eine himmlische Briese.

 

 

 

Den "Palast der Winde in Jaipur kennen wir bereits von unserem ersten Besuch her. Er ist auch beim zweiten Mal immer noch so imposant – keine Frage. Am nächsten Tag steht ein Ausflug nach Fort Amber an, aber den schenken wir uns. Den haben wir, inklusive Elefantenritt, damals auch schon gemacht. Wir haben andere Pläne.

 

Wir fahren in den Ort und sind auf der Suche nach einem Schneider. Die Inder sind berühmt dafür, in beeindruckender Schnelligkeit und zu erschwinglichen Preisen maßgeschnei-derte Kleidung anzufertigen, und Fritz möchte einen schicken Smoking.

 

Das Vorhaben wird zu einem echten Abenteuer. Es ist überhaupt kein Problem, einen Schneider zu finden. Jeder Taxifahrer hat ein halbes Dutzend Cousins, die im Stoff-handel tätig sind. Aber den Jungs klarzumachen, was wir wirklich wollen, das ist das Problem!

 

Was ist wohl ein Smoking? Festliche Kleidung für den eleganten Herrn von Welt! Ein Abendanzug für den besonders feierlichen Anlass! Als uns der Schneider einen Anzug skizziert, der bis zu den Oberschenkeln reicht, wird klar, dass wir uns wieder mal missverstanden haben. Aber andererseits: Fritz würde mit seinem ungewöhnlichen Maharadscha-Outfit sicherlich für Aufsehen sorgen. Vielleicht noch ein schicker Turban dazu – wer weiß?

 

Dann werden wir doch noch fündig bei einem weiteren Großonkel, der offenbar schon einigen Kontakt mit der europäischen Mode hatte. Der nimmt Maß – und um Mitternacht, nach einigen lautstarken Auseinandersetzungen mit dem Hotelpersonal, wird das gute Stück angeliefert.

 

Passt genau!

 

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Auch das Taj Mahal (s. Titelbild) in Agra ist noch ebenso atemberaubend wie beim ersten Mal.

Nur die Besucher-schlangen scheinen mir noch ein wenig größer geworden zu sein. Aber trotz aller Menschenmassen hat man doch immer das Gefühl, als ob von diesem Bauwerk eine majestätische Ruhe ausginge. Es fehlen die Vergleiche, wollte man seine Besonderheit beschreiben.

 

Über die anrührende Liebesgeschichte, die sich dahinter verbirgt, habe ich bereits in meinem Reisebericht von 1998 berichtet.

 

Unsere Reise endet da, wo sie begonnen hat: in Neu Delhi.

 

Hier übernachten wir in einem „gewöhnlichen“ 5-Sterne-Hotel: Die Pracht der Maharadscha-Paläste ist vorbei. Leider!

 

Unser letzter Besuch gilt dem Grab von Mahatma Gandhi – auch hier wieder unübersehbare Menschenmassen.

Gandhi, der große Revolutionsführer, der sein Land 1947 gewaltfrei von der Besatzung der Briten befreit hatte, ist auch heute noch das Idol der indischen Bevölkerung.

 

Und tatsächlich hat der Mann Unglaubliches geleistet. Die Befreiung Indiens von der britischen Kolonialmacht hat aber auch noch aus anderen Gründen Geschichte geschrieben: Zum ersten Mal waren die Medien, Zeitung und Fernsehen, Zeuge der Geschehnisse. Zum ersten Mal konnte die Welt live miterleben, was geschah: wie brutal das britische Militär gegen eine gewaltlose Menschenmenge vorging, wie gnadenlos unbewaffnete Menschen niedergeschossen wurden. Hätten die Engländer diesen Weg fortgesetzt, wäre ihnen die Ächtung der Welt sicher gewesen. Es war Scham, was sie bewogen hat, nachzugeben, wollte man sich nicht die Sympathie und die Achtung der ganzen Welt verscher-zen.

 

Den Engländern sollte man zumindest zugutehalten, dass das für sie Werte waren, die ihnen etwas bedeuteten. Ich bin mir nicht sicher, ob das in der heutigen Zeit für andere Mächte auch gilt. Mit Gewalt das festzuhalten, was man besitzen möchte, auch wenn es einem gar nicht gehört, nur weil man über die notwendige Stärke verfügt, und sich gleichgültig über das Urteil der Welt hinwegzusetzen – das ist heute der Normalfall.

 

Was für eine tragische Ironie, dass gerade dieser Menschenfreund und Verfechter der Gewaltlosigkeit das Opfer eines Attentats wurde: Am 30. Januar 1948 wurde Gandhi von einem fanatischen Extremisten erschossen.

 

Damit endet unsere Indienreise.

 

Während der Rundreise hatten wir Gelegenheit, einen Blick in eine völlig andere Welt zu werfen, in der unermesslicher Reichtum und tiefste Armut eng nebeneinander liegen.

 

Eine ganz eigene Erfahrung!

                                        Der Palast der Winde in Jaipur