Urlaub 2009: Patagonien

               Der Urlaub der holprigen Pisten

 

Ein wenig Abenteuer gefällig? Wir haben in diesem Jahr Patagonien auf dem Programm: den wilden Süden von Chile und Argentinien, dort, wo die Zivilisation nicht mehr ganz so zivilisiert ist und die Straßen oft nicht mehr als holprige Schotterpisten sind.

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Die Reise ans andere Ende der Welt geht nicht ohne Hindernisse ab. In Madrid warten wir in einer langen Warteschlange mitten in der Nacht fast drei Stunden darauf, dass unser Flieger nach Santiago de Chile flott gemacht wird. Da wir in Santiago nur knappe zwei Stunden zum Umsteigen haben, schreiben wir den Anschlussflug nach Punta Arenas schon ab. Die Jungs vom Bodenpersonal nehmen das mit philosophischer Gemütlichkeit: So ist das Leben halt.

Ich hasse die südamerikanische Gelassenheit!

 

Aber dann geht es doch weiter. 14 Stunden Flug sind schon ein Kreuz. Erst als wir kurz vor dem Landeanflug die Anden überqueren, kommt so etwas wie Atemlosigkeit auf: Der Anblick ist unglaublich spektakulär.

Wir begeben uns gemütlich auf die Suche nach dem nächsten verfügbaren Flug nach Punta Arenas. Aber dann stellt sich heraus, dass es eine ebenso überraschende wie kurzfristige Flugplanänderung gegeben hat. Unser ursprünglicher Flieger ist noch da, und wenn wir uns ein wenig beeilen, können wir ihn sogar noch erwischen. Also Schluss mit der Gemütlichkeit und den Schnellgang eingelegt! Als wir am Gate ankommen, sehen wir schon ein bestens bekanntes Bild: die lange Warteschlange! Der Flug hat außer einer Zeitplanänderung auch noch Verspätung!

Ich liebe die südamerikanische Gelassenheit!

 

 

 

Vor der Magellanstraße:

Hier teilt Fritz den Rest seiner geliebten Fleischwurst mit einer Katze 

 

 

 

 

 

 

Bei der Einreise in Chile wären wir um ein Haar im Knast gelandet.

 

Ich hatte meinem Mann als besondere Überraschung einen Ring Fleischwurst in den Koffer gelegt. Zwar war mir vage die Bestimmung bekannt, dass keine Früchte oder Schweinefleisch-produkte eingeführt werden dürfen, aber ein Verstoß hiergegen schien mir eine lässliche Sünde zu sein. Ob da überhaupt kontrolliert wird?

 

Aber nicht mit den Jungs vom chilenischen Zoll! Die schicken jeden Koffer durch den Scanner und entdecken alsbald die appetitlichen Rundungen unserer eingeschmuggelten Lyonerwurst. Ein herrischer Fingerzeig: Koffer auf! Wir gehorchen. Da liegt das Corpus delicti in seiner ganzen leckeren Schönheit!

 

Aber bevor der Zöllner danach greifen kann, hat Fritz die Wurst schon in der Hand und beißt herzhaft hinein. Die Botschaft ist klar: Eher futtert er dieses Spitzenerzeugnis saarländischer Fleischerkunst auf, ehe dass er zulässt, dass sie in feindliche Hände fällt.

Der Zollbeamte guckt fassungslos und ist sichtlich überfordert von der ungewöhnlichen Situation: Einerseits flößt ihm dieser fleisch(wurst)fressende Germane mit der wilden Entschlossenheit im stählernen Blick einen Heidenrespekt ein, andererseits ist er aber auch beseelt von dem Bedürfnis, diesen Schurken, der in verbrecherischer Absicht gegen die chilenischen Gesetze frevelte, zur Rechenschaft zu ziehen.

 

Längst haben die Umstehenden ihre Tätigkeit eingestellt und folgen mit neugierigem Interesse diesem seltsamen Show-down der Blicke – bis Fritz den Bann löst und mit unbewegter Miene dem Beamten ein Stück Wurst hinhält. Der lehnt zwar ab, und zu einem Lächeln kann er sich auch nicht durchringen – aber er winkt uns durch.

 

Situation (und Fleischwurst) gerettet!

 

 

Punta Arenas ist eine unspektakuläre Angelegenheit. Wir halten uns nicht lange auf und brechen am nächsten Tag gleich auf – ans Ende der Welt. Mit der Fähre überqueren wir die Magellanstraße. Jetzt sind wir auf Feuerland.

Wir fahren über die berühmte, 17.000 km lange „Cuarenta“, die Nationalstraße Nr. 40, die in Alaska beginnt und in Feuerland endet – die Traumstraße der Welt. In den Anden hat sie wohl ihren Namen zu Recht.

Aber hier in Feuerland ist sie eher eine Albtraumstraße. Die Chilenen sind zweifellos ein nettes Volk. Sie gönnen dem Fernreisenden das Gefühl, echte Abenteurer (oder gar Pioniere!) zu sein und werden den Deubel tun und die katastrophalen Schotterpisten asphaltieren. Wenn man ans Ende der Welt kommen will – dann nur gut durchgeschüttelt

Die ersten 200 km Feuerland sind erschreckend unattraktiv, doch allmählich ändert sich das Bild: Die Straße beginnt sich durch schneebedeckte Berge zu winden.

Und dann endlich liegt Ushuaia zu unseren Füßen – die südlichste Stadt der Welt!

 

 

Die Lage der Stadt ist einfach traumhaft – Berge, die bis ans Meer reichen und einen Kessel bilden, in den die Stadt eingebettet liegt. Doch Ushuaia selber ist eine Katastrophe. Sie ist ein Paradebeispiel für viel zu schnell gewachsene Ansiedlungen. Da ist, wie Kraut und Rüben, alles durch- und übereinander gebaut worden – ohne Plan und Konzept.

Fast wünscht man sich einen strammen Diktator, der mit einem Federstreich verfügt: „Alles dem Erdboden gleich machen und wieder neu aufbauen. Aber diesmal mit Verstand! Und vor allem: Kein Wellblech mehr!“

 

 

Wir unternehmen eine gemütliche Schiffsfahrt durch den Beagle-Kanal auf Darwins Spuren und auch der Feuerland-Nationalpark Lapatia ist unbedingt einen Besuch wert. Wir sind gerade mal 1000 km von der Antarktis entfernt. Es ist ungemütlich kalt. 

 

 

Argentinien und Chile sind eng miteinander verknüpft. Es bleibt einem gar nichts anderes übrig, als mehrfach die Grenze zu wechseln. Als wir von Ushuaia (Argentinien) aufbrechen und an den Zoll kommen, erfreuen uns die argentinischen Zollbeamten mit der Nachricht, dass die chilenischen Kollegen streiken. Acht Stunden lang werden keine Fahrzeuge abgefertigt – erst ab 18.00 Uhr soll es wieder weitergehen. Es besteht die Gefahr, dass wir die letzte Fähre zurück über die Magellanstraße nicht mehr bekommen und auf diesem langweiligen Feuerland festsitzen, wo doch der herrliche Nationalpark Torres des Paine auf uns wartet.

 

Nachdem wir erst einmal eine Runde kräftig geflucht haben, packt mich der Ehrgeiz. Wir fahren – entgegen der nachdrücklichen Ratschläge der argentinischen Zöllner – die 100 km bis zum chilenischen Zoll. Die Autoschlange ist schon beängstigend lange. Aber die LKW-Fahrer haben in aller Gemütsruhe die Beine hochgelegt, die Autofahrer ihre Fahrzeuge verlassen und sitzen nun am Straßenrand im Gras – es herrscht eine regelrechte Picknick-Stimmung. Niemand regt sich auf, die Menschen legen eine stoische Gelassenheit an den Tag, die uns fasziniert.

 

Ich habe jedoch nicht vor, mich davon anstecken zu lassen und kratze mein letztes Spanisch zusammen, um kräftig auf die Tränendrüsen zu drücken: Dass uns nur wenig Zeit zur Verfügung steht, um ihr schönes Land kennenzulernen – halt schmeichlerische Nettigkeiten, die jeder gern über sein Land hört. Außerdem könnten wir ihnen bei ihren Lohnforderungen ohnehin nicht helfen.

 

Sei es, dass wir einen richtig guten Eindruck machen, sei es, dass sie nur Erbarmen mit meinen mäßigen Spanischkenntnissen haben – jedenfalls fertigen sie uns ab. Nicht jedoch ohne vorher unser Auto noch gefilzt zu haben, was uns jedoch nicht weiter stört. Die Fleischwurst ist mittlerweile alle.

 

Wir überqueren erneut die Magellanstraße und sind abends in Puerto Natale, dem Tor zu dem berühmten Tores del Paine.

 

 

 

 

Der berühmte Torres del Paine empfängt uns ausgesprochen unfreundlich. Je tiefer wir ins Gebirge vorstoßen, desto schlimmer wird es. Ein ausgewachsener Sturm peitscht uns ein Gemisch aus Regen und Schnee auf die Windschutzscheibe. Man sieht kaum die Hand vor den Augen. Ich muss höllisch aufpassen, dass ich nicht die steilen Abhänge hinuntersause. Von den gigantischen Felsformationen sieht man rein gar nichts, und die milchig-trübe Brühe im Tal sind wahrscheinlich die herrlichen Seen. Wir sind heilfroh, als wir in unserem warmen Hotel am Lago Grey ankommen. Durch die riesigen Panorama-Scheiben verfolgen wir das gespenstische Treiben der Natur.

Am nächsten Morgen ist der Himmel wieder freundlich, und wir können die grandiose Landschaft ausgiebig genießen.

Unser Reiseschutzengel (der mit dem Faible für gute Fotos) ist zuverlässig mal wieder an unserer Seite.

 

 

 

 

 

 

 

Die Landschaft ist ungemein abwechslungsreich, aber einsam. Dass wir hier jemand finden, der den Auslöser drückt, damit wir beide auf dem Bild sind - das ist die große Ausnahme.

Aber Ruhe, Abgeschiedenheit, weit weg von allem Trubel - das ist eine sehr angenehme Erfahrung.

 

Unser Leihwagen ist ein knuffiger, allradbetrie-bener Japaner, der behände auch die steilsten Pisten nimmt. Sein Nachteil: Er hat ständig Durst. Unser Problem: Tankstellen sind in diesem Land so selten wie Oasen in der Wüste. Ich habe eine Karte mit eingezeichneten Zapfsäulen, die ich hüte wie einen Schatz.

 

Der Nationalpark ist ausgesprochen weitläufig, und ich kalkuliere vorsichtig, wie weit ich fahren kann mit meinem Benzinvorrat. Doch in der unteren Hälfte der Tankuhr fällt die Nadel so schnell, dass man fast zusehen kann. Ich komme mit Magenschmerzen und dem sprichwörtlich letzten Tropfen in Serano Castillo an, dem Ort, der laut Karte eine Tankstelle haben soll.

 

Das winzige Kaff ist denkbar überschaubar, aber eine Tankstelle finde ich nicht. Ich frage mehrfach und verfluche mein mageres Spanisch, weil ich immer wieder in der gleichen Straße lande und nichts finde. Aber dann wird klar, dass ich doch richtig bin: Da stehen drei Bretterbuden, die ich bis dahin für die lokalen Plumpsklos gehalten habe. Eine eiserne Kette verschließt die rostige Tür, die „Scheiben“ sind so verdreckt, dass man nicht hindurchsehen kann. Ich klingele ein letztes Mal an dem Haus nebenan und erfahre: Das ist die Tankstelle!

 

Der herausgeklingelte Mensch ist ein netter und erklärt sich bereit, den Tankwart zu informieren, dass Kundschaft da ist, und nur eine knappe Stunde später taucht jemand auf, der einen Schlüssel zu der Kette hat. An der Vorderseite öffnet sich eine 20x20cm große Schießscharte und heraus kommt eine Art Einfüllstutzen. Mit asthmatischen Geräuschen setzt sich die Pumpe in Bewegung, und dann ist der Tank wieder voll.

Mein Schluckspecht ist bereit für die Weiterfahrt.

 

 

 

Mehr als 4000 km Grenze teilen sich Argentinien und Chile – aber jeder Grenzübertritt ist ein erhabener Akt, bei dem mächtig viel Papier auszufüllen ist. Das chilenische Zollamt am Übergang in Serano Castillo befindet sich im Wohnzimmer einer kinderreichen Familie, wo während der bürokratischen Formalitäten noch der aufmüpfige Nachwuchs geregelt werden muss – es ist ein ziemliches Chaos. Ein solches Teufelszeug wie Computer ist offenbar unbekannt. Unser Wechsel von Chile nach Argentinien wird in Schönschrift im großen Buch der Grenzübertritte vermerkt: „Fritz und Hannelore Schreiner haben am 25. Oktober die Grenze von Chile nach Argentinien überquert!“ – und dabei Berge von Formularen hinterlassen.

Auch das eigentliche Passieren der Grenze (einer rostigen Kette, die kniehoch über die Straße gespannt ist) entbehrt nicht einer gewissen Feierlichkeit: Ein vorsintflutlicher Schlüssel an einem imposanten Schlüsselbund schließt das Schloss auf – und dann sind wir in Argentinien.

Am Ende der Reise steht der eigentliche Höhepunkt: Von El Calafate aus, unserer letzten Station, sind es nur noch 60 km bis zum berühmten Gletscher Perito Moreno, einem der letzten, der noch wächst.

 

Wir stehen staunend auf den Aussichtsterrassen und lassen uns beeindrucken von den 60 Meter hohen, gletscherblau schimmernden Eiswänden. Wo der Riesengletscher anfängt, ist kaum auszumachen. Wenn so eine Wand wegbricht, dann verursacht das Geräusche, die einem Kanonenschuss oder einer Sprengung ähneln. Dann „kalbt“ der Gletscher in das tief türkisfarbene Wasser – ein optisches wie auch akustisches Schauspiel, das seinesgleichen sucht!

 

Unser Patagonien-Urlaub ist zu Ende, und wir kehren wieder zu unserem Ausgangspunkt Punta Arenas zurück. Wir schlendern noch ein wenig durch die Stadt und suchen nach einem halbwegs anständigen Lokal, das hier so rar ist wie ein Einsblock in der Wüste. Wir kommen an einer Kirche vorbei. Ich bin nicht im Mindesten religiös, aber ich schaue mir gerne Kirchen von innen an, weil sie viel über die Mentalität eines Volkes aussagen.

Die Kirche ist ärmlich eingerichtet. Was uns gefällt, ist die Musik. Da gibt es keine Orgel – der Sänger begleitet sich auf einer Gitarre, und das klingt ausgesprochen schön. Also bleiben wir noch ein wenig.

 

In der Bank vor uns döst einer vor sich hin, der ganz offensicht-lich weder am Gesang noch aus Gottesliebe dort sitzt. Es ist warm hier und er ist, seinem ärmlichen Outfit nach zu urteilen, ein Obdachloser. Heimlich legt Fritz ihm einen Dollar auf seine Tasche. Dann verziehen wir uns wieder.

 

Der glaubt jetzt wohl wieder an Wunder. Ich schätze, wir haben der Kirche eine verlorene Seele wieder zurückgegeben.

 

Überhaupt haben wir weder in Argentinien noch in Chile Bettler gesehen, während bei uns im reichen Deutschland auf jedem Bahnhof und auf jedem Markt irgendeiner dich um einen Euro anhaut. Die Menschen in Südamerika, obgleich arm, haben ihren Stolz und eine Zufriedenheit, die offensichtlich nichts mit Geld zu tun hat.

 

Unsere Reise ans Ende der Welt war eine großartige Erfahrung.