Die Bibliothke in Mexiko City

 

Es ist 4.00 Uhr nachts, als wir nach endlos langem Flug im Landean-flug auf unser Ziel sind: Mexiko City – dem Ausgangspunkt für unse-re Reise ins Reich der Mayas und Azteken. Ein Lichtermeer erwartet uns, das sich bereits die Berghänge hochzieht. Die Riesenstadt sprengt ihre Grenzen.

 

Als wir den Flieger verlassen, gehen wir wie auf Watte. Wir sind auf fast zweieinhalb tausend Meter Höhe.

 

Die Flagge des Landes mit Adler, Kaktus und Schlange auf dem weißen Feld spiegelt den Gründungsmythos der Stadt wider.

 

Der Sage nach zogen aztekische Stämme umher auf der Suche nach einer dauerhaften Bleibe. Ihr Gott mit dem lustigen Namen Huitzilopochtli wies sie an, dort eine Stadt zu gründen, wo sie einen Adler fänden, der, auf einem Kaktus sitzend, eine Schlange verspeist.

 

Der Gott war zweifelsfrei ein Witzbold, denn die Stelle, an der die Azteken genau diese Situation vorfanden, war ein sumpfiges Gebiet, das erst trocken-gelegt werden musste. Aber da man göttliche Weisungen nicht diskutiert, begannen die Azteken mit der Arbeit, schufen eine Stadt und nannten sie Tenochtitlán.

 

Dass das Land, außer dass es feuchten Untergrund hatte, auch noch erdbebengefährdet war, machte die Sache nicht besser. Der Gott hatte offenbar nur begrenzte geophysikalische Kenntnisse. Jedenfalls ist die Erde hier ständig in Bewegung, was die Einheimischen heuti-ger Zeit jedoch schon nicht mehr aus der Fassung bringt, so sehr hat man sich daran gewöhnt.

 

Als wir unser Hotelzimmer betreten, erkennen wir, ohne eine Bleiwaage im Gepäck zu haben, dass die Fensterbänke deutlich aus dem Blei sind. Da ist irgendwann einmal das Gebäude nach einer Seite abgesackt. Und die Risse an der Decke der Bar im 20. Stock sind auch nur behelfsmäßig abgedeckt worden.

 

 

 

Der Besuch des Anthropo-logischen Museums, nach Kairo das zweitgrößte der Welt, ist ein absolutes Muss. Es gibt einen hervor-ragenden Ein-blick in das tiefe Wissen der Mayas und Azteken was Astronomie und Astrologie betrifft.

 

Wir stehen vor dem steinernen Azteken-Kalender und erfahren zwar nicht, wie er funktioniert, aber dass er präziser ist als unser westli-cher Kalender, der immer wieder Korrekturen (wie z.B. die Schalt-tage alle 4 Jahre) braucht, damit er stimmt.

 

Mexiko City ist eine moderne Großstadt mit einer attraktiven Shopping Mall (Zona Rosa) und der geschäftigen Verkehrsader, der Reforma. Nichts Besonderes. Das finden wir in allen Großstädten vor. Doch einige wenige Kilometer von der Hauptstadt entfernt beginnt die Vergangenheit.

 

 

Teotihuacán mit seiner Sonnen- und Mondpyramide interessiert uns deutlich mehr. Wir lassen es uns nicht nehmen die endlosen Stufen hinaufzu-klettern. Kann sein, dass an dieser Stelle, an der wir nun stehen, früher Menschenopfer dargebracht wurden.

 

Auch die „Straße der Toten“, die bei der Mondpyramide endet, durchwandern wir. Und in der Ferne der Popocatepetl, ein noch rühriger Vulkan.

 

 

 

Noch ein paar Kilometer weiter besuchen wir Tula, das kulturelle Zentrum der Tolteken, berühmt wegen seiner Morgenstern-Pyramide und der 4,5 Meter hohen Monumenten der Tolteken-Krieger. Auch sehr schön.

Zum Entspannen geht es dann zu den schwimmenden Gärten von Xochimilco. Die mit Blumen geschmückten Boote werden von Gondolie-res mit langen Stangen be-wegt. Venedig auf Mittel-amerikanisch! Und dazu immer wieder die typische Musik der Mariachis.

 

Vier Tage lassen wir uns Zeit, um die Besonderheiten der Hauptstadt und der Umgebung zu besichtigen, dann ist das touristische Pflicht-programm erfüllt und wir begeben uns auf eine interessante Rundreise: Es gilt die Yucatán-Halbinsel zu erkunden.

 

 

Konzentrieren wir uns auf die Highlights:

 

Palenque liegt im tiefsten Urwald. Die Luftfeuchtigkeit ist so hoch, dass wir binnen Minuten schweißnass sind. Trotzdem ersteigen wir die Stufen zum „Tempel der Inschriften“ und wagen auch den Abstieg in die Grabkammer. Dort ist zwar nichts mehr zu sehen, aber wir waren immerhin da.

 

Die Pyramide ist insofern von Bedeutung, als hier zum ersten Mal eine Grabstätte gefun-den wurde. Die Vermutung, dass die indianischen Pyramiden Mittelamerikas, vergleichbar mit denen Ägyptens, auch für Bestattungen genutzt waren, bestätigt sich hier, scheint aber trotzdem nicht die Regel zu sein.

 

Neben einer Unmenge von Touristen findet sich auch eine Hundertschaft von Archäologen und Wissenschaft-lern, die immer noch dabei sind, Inschriften und Reliefs freizulegen – oder einfach nur die Gemäuer von den Pflanzen zu säubern. Wenn man nur ein wenig nachlässig ist, dann nimmt sich der Urwald seinen Lebensraum zurück und bedeckt die freigelegten Kultstätten wieder mit Vegetation.

 

Man möchte mit Max Frischs „Homo Faber“ sagen: „Wo man hinspuckt, keimt es.“

 

Chichen Itza ist ein weiterer Touristenmagnet. Hier befindet sich eine komplette Tempelanlage. Wollte man die erkunden, wäre eine Woche Aufenthalt Minimum.

 

Besonders faszinierend ist das sogenannte „Castillo“, stufig angelegt, wie sich das für eine Pyramide gehört, in der Mitte von allen vier Seiten jedoch noch mit einer Treppe ausgestattet. Hier haben Archäologen und Mathematiker Zusammenhänge hergestellt, die ebenso verblüffend sind wie die der Gizeh-Pyramiden in Ägypten. Auch hier spielt astronomisches Wissen eine große Rolle.

 

Zweimal im Jahr aber wird Chichen Itza zum Mekka aller Esoteriker: Zur Tag- und Nachtgleiche im März und September liefern Natur und Bauwerk ein denkwürdiges Zusammenspiel: Die untergehende Sonne zaubert per Schattenwurf eine gefiederte Schlange auf der Treppe. Grund für Tausende von Touristen, sich dieses Schauspiel anzusehen.

 

 

 

Den „Tempel der Krieger“ bewacht ein grimmig blickender Chac-Mool, die Skulptur eines liegenden Kriegers mit angezogenen Beinen, auf seinem Bauch ein Gefäß, in dem das Blut der Menschenopfer aufgefangen wurde.

 

In Uxmal besichtigen wir die Pyramide des Zauberers. Der Aufstieg: eine steile Angelegen-heit. Da muss man schon schwindelfrei sein. Am besten, man hält sich in der Nähe des Seils auf, da ist man auf der sicheren Seite.

 

Neben einem Observatorium (sehr viele der Anlagen verfügen über ein solches Bauwerk) fasziniert uns auch der Ballspielplatz (auch das ein fester Bestandteil vieler Anlagen). Hier ist das „Tor“ ein steinerner Ring in etwa 3 Meter Höhe, durch den ein Kautschukball geschossen werden soll. Aber nicht mit den Füßen – das wäre zu einfach. Nein, mit dem Hintern und den Hüften wurde da gearbeitet. Nicht ganz so einfach, zumal man am Hintern keine Augen hat.

 

Das Unangenehme an der Sache war, dass die unterlegene Mannschaft das Spiel nicht überlebt hat. Den Verlierern wurde das Herz herausgerissen. Das Einzige, was die Bedauernswerten tröstete, war, dass sie den Göttern geopfert wurden.

 

 

Ein Olmekenkopf

 

 

 

 

 

 

Ein OlmekenkopfAuf der Reise durch das Land machen wir natürlich auch Bekanntschaft mit einheimischen Gebräuchen.

 

Wir speisen in einem Restaurant, und der Wirt kommt, und will uns zum Abschied noch ein feines Fläschchen verkaufen. Er ist im Nebenberuf wohl noch Schnaps-brenner.

 

Aber dann bleibt uns der Bissen im Hals stecken: Auf dem Boden der Flasche liegt, sauber konserviert durch den Alkohol, eine kleine Schlange. Wir lehnen dankend ab.

 

Dann kommt er wieder, und diesmal ist es eine Flasche Tequila mit einem Wurm auf dem Boden. Wieder sind wir sprachlos, was er einfach nicht verstehen kann. „Das ist doch der Wurm der Agave“, erklärt er. Als ob das die Sache besser machen würde!

 

A propos Agave!

 

Das ist eine Pflanze, die für alles gebraucht werden kann: Die Mexikaner braten die fleischigen Blätter, die angeblich süß schmecken sollen, aus ihrem Saft wird Pulque gemacht, eine Vorform des Tequila, und bekannt für grauenhafte Kopfschmerzen bei einem Glas zuviel, und als Faser-Lieferant ist die Pflanze ebenfalls erste Adresse.

 

Wir beobachten eine Frau, die die Spitze eines Blattes abbricht, die so spitz sind, dass man sich stechen kann, dann zieht sie kräftig, und an der improvisierten Nadel hängt ein langer Faden. Damit fängt sie an, an einem Kleidungsstück herumzunähen.

 

 

Ein anderer Ort hält auch eine nette Attraktion bereit: den Bier trinkenden Esel.

 

Wann immer ein Touristenbus naht, tritt er in Aktion. Eine geöffnete Bierflasche steht auf dem Boden, der Esel fasst die Flasche mit den Zähnen, hebt sie über seinen Kopf und trinkt die Flasche leer. Manchmal wiederholt er das Spielchen auch nochmals. Dann muss er beim Gehen sorgfältig seine vier Beine sortieren, sonst fällt er um.

 

„Er ist zu sonst nichts mehr zu gebrauchen“, erklärt uns sein Besitzer. „Und ganz schlimm ist es, wenn mal ein paar Tage die Busse ausbleiben. Dann ist er auf Entzug und schreit nur noch rum. Er ist halt ein Alkoholiker.“

 

 

In Merida endet unsere Yukatan-Rundfahrt und wir fliegen nach Acapulco. Noch eine Woche Ausspannen ist angesagt. Es wird eine schöne Woche mit Fallschirm-segeln und Wasserski, schwimmen und faulenzen.

 

Wir besuchen natürlich auch La Quebrada, den Felsen, von wo aus sich die Todesspringer in eine lausig enge Bucht stürzen. Das Schauspiel hat es in sich.

 

Die besagte Bucht wird gebildet durch ein etwa 10 Meter hohes Felsplateau, und auf der gegenüberliegenden Seite den hohen La Quebrada-Felsen, knappe 40 Meter hoch. Der Springer tritt immer im Duo mit einem Helfer auf. Der bleibt auf dem niedrigen Plateau stehen, während der Springer ins Wasser springt, was uns bei den geschätzten 10 Metern noch nicht unbedingt beeindruckt. Das kriegt Fritz auch noch fertig.

 

Aber dann beginnt der Springer die steile Felswand hochzuklettern. Oben angekommen, kniet er nieder und betet an einem kleinen Altar. Dann stellt er sich parat und wartet. Er wartet darauf, dass der zweite Mann unten ihm das Signal gibt, wann eine optimale Welle in die kleine Bucht hineinspült. Dann pfeift er, und der Springer muss dann sofort(!) springen, um den optimalen Moment nicht zu verpassen. Denn die übliche Wassertiefe in der Bucht ist wenig mehr als 3 Meter. Die Welle darf aber auch nicht zu mächtig sein, sonst zieht der Sog den Springer wieder ins offene Meer.

 

 

 

 

 

 

 

Fritz am Strand von Acapulco

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wir sehen uns das atemberaubende Schauspiel an. Der Springer, ein kleiner Kerl, vielleicht gerade mal einen anderthalben Meter groß, kommt glücklich aus dem Wasser und setzt sich auf einen Stein, ganz in unserer Nähe. Ich gehe zu ihm und versichere ihn unserer Hochach-tung. Das schmeichelt ihm natürlich.

 

Ich frage ihn, wie oft er schon gesprungen ist. Vielleicht zwei Dutzend mal, ist seine Antwort. Ob er immer noch Angst hat? Aber ja, die Angst ist immer dabei. Zu wem er gebetet hat, will ich wissen. Manchmal zur Gottesmutter, meist aber zu seiner eigenen Mutter, die schon tot ist. Ich frage ihn, warum er das macht, warum er so viele Gefahren auf sich nimmt. Seinem Gesichtsausdruck entnehme ich die Antwort. So eine Frage kann nur eine Frau stellen! Laut aber sagt er, dass es immer wieder ein Triumph ist, wenn man den Tod besiegt. Ob es denn auch schon tödliche Unfälle gegeben hat. Jetzt lacht er. Ja, aber nur verrückte Touristen, weil die nicht wissen, worauf es ankommt. – Und worauf kommt es an? Man muss mindestens 6 Meter weit weg vom Felsen springen, um richtig im Wasser landen zu können. Und der Kopf muss eine absolut gerade Linie mit dem Körper bilden, sonst ist der Schlag auf das Genick beim Eintauchen zu groß.

 

Interessante Informationen. Ich wünsche ihm viel Glück für seine weiteren Sprünge.

 

Abends lädt mich mein Mann ins Restaurant „La Perla“ ein, direkt am Felsen gelegen. Wir schauen zu, wie die Felsenspringer mit Fackeln in der Hand springen. Wahnsinn!

 

Unser Urlaub im Reich der Mayas und Azteken ist zu Ende. Es waren phantastische drei Wochen.