Urlaub 2004 Neuseeland

                   Der Urlaub der verrückten Zeitzonen

 

Jawohl, jetzt glauben wir es wirklich: die Erde ist eine Kugel!

Wir haben den Beweis erbracht. Wir sind nach rechts losgeflogen, immer in einer Richtung, so lange, bis wir links wieder rausgekommen sind. Die Welt ist wirklich rund!

 

Unsere Reisepläne führen uns dieses Jahr in das Land der Kiwis. 18 Tage haben wir veranschlagt für die Besichtigung Neuseelands, nach bewährter Manier mit Leihwagen und auf eigene Faust. Noch einmal ein bisschen was riskieren, bevor wir endgültig alt werden. Und weil das Ganze recht stressig zu werden verspricht, wollen wir in der Südsee noch ein paar Tage die Seele baumeln lassen. Auf den Cook-Islands sind wir ziemlich exakt auf genau der gegenüber liegenden Seite der Weltkugel. Jetzt ist es egal, ob wir westwärts oder ostwärts nach Hause fliegen.

Wir entscheiden uns für die Umrundung!

 

Die Reise hat einen vorprogrammierten Schönheitsfehler. Wenn wir in Deutschland unter der hochsommerlichen Hitze stöhnen, ist dort tiefster Winter – und Regenzeit! Mit ein wenig Pech werden wir dieses herrliche Land nur in grau erleben. Aber da ich von den Schulferien abhängig bin, bleibt nichts anderes übrig als entweder  bis zur Pensionierung zu warten oder das Wetter-Risiko einzugehen.

Zweckoptimismus ist angesagt.

 

Schon das Kofferpacken ist spaßig. Da verstauen wir für die kalten Tage in Neuseeland die Rollkragen-Pullover und die dicken Jacken und daneben die Shorts und Badesachen für die sonnige Südsee.

Die Welt steht schon gründlich auf dem Kopf: Wenn wir Sommer haben, ist dort Winter. Wenn wir Tag haben, ist dort Nacht. Und je tiefer wir in den Süden kommen, desto kälter wird es. Erst wenn wir wieder nordwärts fahren, uns also „von unten“ dem Äquator nähern, werden die Temperaturen wieder sommerlich.

 

Obwohl wir es eigentlich besser wissen müssten, sind wir doch enttäuscht, dass uns Auckland mit Regen empfängt. Und meine Stimmung rutscht noch ein wenig tiefer in den Keller, als wir unseren Leihwagen übernehmen. Da will uns die freundliche Dame Schneeketten andrehen, als sie hört, dass wir auch die Südinsel befahren wollen.

 

„Da unten müssen Sie jetzt überall mit Eis und Schnee rechnen“, erklärt sie und ihr Zeigefinger kreist großräumig um die gesamte untere Hälfte der Südinsel unterhalb von Christchurch.

 

Ich lehne ab. Wenn die Straßenverhältnisse so katastrophal sind, verzichte ich lieber.

 

Oha! Das sieht nach viel Leerlauf aus!

 

Zunächst aber ist die Nordinsel dran, und als wir am nächsten Morgen losfahren, ist das Wetter gar nicht so übel: wohl ein paar Wolken, aber daneben auch richtig echter Sonnenschein.

Auckland mit seinen 1,1 Millionen Einwohnern ist eine pulsierende Metropole. Etwas zu pulsierend für unseren Geschmack, die wir uns weder an die 10 Stunden Zeitverschiebung noch an den Linksverkehr schon so richtig gewöhnt haben.

 

Auf dem Weg zur Ostküste erleben wir Mittelerde. Jawohl, das sind die Landschaften, die wir aus dem „Herrn der Ringe“ kennen: sanft gewellte Hügel, unendlich grün und von einer geradezu unnatür-lichen Friedlichkeit. Fast bin ich versucht, den Leuten ständig auf die Füße zu schauen, um zu sehen, ob sie vielleicht Hobbits sind.

 

 

 

 

 

Als wir in Waitangi ankommen und unsere Bootsfahrt durch die Bai of Islands unternehmen, ist der Himmel strahlend blau.

Auch in den kommenden 5 Tagen, an denen wir die Nordinsel befahren, scheint ununterbrochen die Sonne. Auf der Südinsel regnet es laut Wetterbericht in Strömen.

 

 

 

 

Nach sieben Tagen haben wir die Highlights der Nordinsel durch: Selbst die berühmte Glühwürmchenhöhle in Waitomi ist abgehakt: ein Naturwunder, das etwas Besonderes ist: An einigen Stellen in der Höhle hängen Hunderttausende, ja Millionen von Glühwürmchen an der Decke und wirken, als ob man bei wolkenlosem Himmel tief in das unendliche Weltall blicken würde.

 

Als wir in Wellington ankommen, hat sich der Himmel zum ersten Mal richtig zugezogen. Wir beschließen uns nicht aufzuhalten und mit der Abendfähre nach Picton überzusetzen. Jetzt sind wir auf der gefürchteten Südinsel. Es stürmt, blitzt, donnert und regnet zur Begrüßung, was das Zeug hält. Und das die ganze Nacht lang. Uns schwant Übles.

 

Am nächsten Morgen ist blauer Himmel, während es an der gegenüberliegenden Westküste in Strömen regnet. Wir starten durch nach Kaikura. Bei solch einem Wetter dürfte der Ausflug zu den Walen ein Hochgenuss werden. Wird er auch. Die Veranstalter der Tour garantieren uns, dass wir Sichtkontakt haben werden. Mit einem besonderen Sonar produzieren sie Geräusche, auf die die Wale reagieren. Wahrscheinlich irgendwas Brünstiges, so genau wollen wir das gar nicht wissen. Auf jeden Fall sehen wir ein halbes Dutzend dieser Riesen, die sich beim Abtauchen artig mit der Schwanzflosse verabschieden, vermutlich tief enttäuscht, dass sie gelinkt worden sind und unser Boot nicht die Erfüllung ihrer Wunschträume ist.

Auch ein Schwarm von einem guten Hundert von Delfinen tobt um unseren Katamaran herum, springt durch die Luft, schlägt Saltos.

Wir amüsieren uns köstlich über diese übermütigen Clowns.

 

 

Wir überqueren das Gebirge bei klarem Wetter ohne Probleme. Jetzt sind wir an der Westküste. In Shanty-Town, einer verlassenen Goldgräberstadt, löst Fritz fast einen neuen Goldrush aus, als er aus einer Gold-Waschanlage plötzlich eine ganze Kette, mitsamt gefasstem Anhänger zieht. Die Show kommt bei den staunenden Zuchauern gut an.

 

Auf unserem weiteren Weg liegen die „Pancakes“, die Pfannkuchenfelsen (absolut phantastisch), der Franz-Josef-Gletscher und der Fox-Gletscher (nicht annähernd so phantastisch, weil schon mächtig abgeschmolzen) und der Lake Matheson, berühmt dafür, dass sich bei gutem Wetter die Gipfel des Mount Cook in ihm spiegeln – für jeden Kamera-Besitzer ein absolutes Sahnehäubchen, wenn die Witterung mitspielt.

 

Tut sie aber zu meinem unendlichen Bedauern an diesem Morgen nicht. Der Himmel ist bedeckt, und dichte Wolken haben sich vor Neuseelands höchsten Berg geschoben. Wider besseres Wissen starte ich doch zu einem langen Fußmarsch um den See. Der Mirror point liegt eine halbe Stunde entfernt von unserem Parkplatz. Auch ohne Mount Cook versprechen Seen schöne Bilder. Ich komme an die Plattform – und just in diesem Moment reißt die Wolkendecke auf, und der Mount Cook spiegelt sich majestätisch im Wasser. Ich schieße meine Fotos, und Minuten später ist der Himmel wieder verhangen.

 

Irgendwo in Petrus’ Truppe habe ich einen liebevollen Schutzengel, der ein Faible für gute Fotos hat. Danke!

 

 

Wir übernachten in der Regel in Motels.

Alle sind ohne Ausnahme tiptop, meist mit drei Betten, einem Bad WC und komplett eingerichteter Küche ausgestattet. Ich amüsiere mich immer, wenn ich mit dem Zimmerschlüssel auch noch einen Viertelliter Milch in die Hand gedrückt bekomme – der Beitrag des Motels zu unserem Frühstück.

Längst sind wir dazu übergangen, uns außer dem Frühstück auch das Abendessen selbst zuzubereiten, und das nicht aus Geiz, etwa weil wir die Kosten für das Diner sparen wollen, sondern aus Notwendigkeit. Restaurants gibt es nämlich nur in den größeren Städten, Supermärkte gibt es hingegen überall. Die improvisierte Kost schmeckt prima.

 

 

Nun sind wir in dem Gebiet, wo wir eigentlich nur noch mit Schneeketten fahren dürften. Aber das Wetter ist herrlich (der Regen ist derzeit an der Ostküste!), die Straßen sind absolut frei, und wir starten mit einem guten Gefühl in die Berge. Wanaka und sein herrlicher See begeistern ebenso wie Queenstown, die neuseeländische Antwort auf St. Moritz: mondän, quirlig und inmitten der Berge und am See gelegen nur einfach schön. Wir genießen einen herrlichen Nachmittag.

 

Wir fahren weiter nach Te Anaun und nähern uns dem touristischen Höhepunkt Neuseelands: dem Milford Sound. Überhaupt ist die südliche Westküste landschaftlich einmalig: tiefe Fjorde, eingelagerte Inseln und eine interessante Tierwelt. Der Milford Sound aber ist der einzige, der mit dem Auto erreichbar ist. Die anderen sind nur mit dem Helikopter zugänglich. Oder wenn man sich einen fünftägigen Fußmarsch antun will.

 

 

Jetzt stehen wir in Te Anaun vor der Straße, die zum Milford Sound führt und zögern. Ein Schild verweist in unübersehbarer Größe darauf, dass die Straße nur mit Schneeketten befahrbar ist, weil mit Eis zu rechnen ist. Die Tafel ist in der Tat so riesig, dass man davon ausgehen kann, dass die Warnung ernst gemeint ist.

 

Sollen wir wirklich das Risiko eingehen?? Sollen wir?? Jawohl, wir wagen es. Wir haben uns mittlerweile so an unser Wetterglück gewöhnt, dass wir es quasi schon mit einkalkulieren. Die ersten 5o km sind auch unproblematisch. Aber dann wird die Wolkendecke immer dichter und tiefer, der erste Nieselregen fällt. Ich habe Angst, dass die Feuchtigkeit gefriert, wenn wir in die höheren Lagen kommen. Denn dass der Weg unaufhaltsam ansteigt, hat uns die Straßenkarte nicht angezeigt. Er führt jetzt in engen Serpentinen immer höher, an Wenden in den klassischen drei Phasen ist nicht zu denken. Ich hänge ohnehin mit zwei Rädern fast am Abgrund.

Außerdem läuft mir die Zeit allmählich davon. Ich kann gerade mal mit 25 km/h fahren und die Dunkelheit bricht bald an. Als sich die ersten Schneeflocken zeigen, verstärkt sich der Eisblock in meinem Magen um ein Beträchtliches.

 

Falsche Entscheidung! Wir hätten das Risiko nie eingehen dürfen, aber jetzt ist es zu spät. Es geht nur noch nach vorn!

 

Wir erreichen den Hoover Tunnel, den höchsten Punkt, und danach geht es in ganz engen Kurven steil nach unten. Mit dem allerletzten Tageslicht kommen wir unten an. Alle Hotels und Motels sind geschlossen – wir sind immerhin fernab von jeder Saison hier. Aber eine Backpacker-Lodge hat noch ein Zimmer frei. Wir diskutieren nicht und greifen dankbar zu.

 

Ich frage die junge Frau an der Rezeption nach den Wettervorhersagen für den nächsten Tag. Sie befragt das Internet und bedauert. „Leider Regen. Vielleicht auch Schnee!“ Da wir noch einen Tag Luft haben, frage ich auch nach dem übernächsten Tag. Wieder ist das Bedauern unendlich – die Prognosen sind die gleichen. Wir sitzen wie die Maus in der Falle!

 

Das wird eine ganz, ganz üble, weil absolut schlaflose Nacht!

 

 

 

Stichwort „Backpacker“ (Rucksacktouristen)! Überall in der Welt das ungeliebte Stiefkind des Tourismus, weil, wohl zu Recht, nur ein schmaler Geldbeutel vermutet wird.

 

In Neuseeland sind Backpacker-Lodges etwas völlig Normales. Wir haben auf unserer Rundreise zweimal dort übernachtet: einmal in Coromandel, weil wir zu müde waren, was Gescheites zu suchen, und jetzt hier im Milford Sound. Die Zimmer sind spartanisch eingerichtet, genau genommen stehen gerade mal zwei Betten darin, und nur, wenn man sehr viel Glück hat, auch ein Heizkörper. Bad und Toiletten sind gemeinschaftlich nutzbar.

 

Das kommunikative Herzstück aber ist die Großküche, wo sich jeder an einer der vielen Kochstellen sein Essen selber zubereitet. Der Menschenschlag ist immer der gleiche: sportlich-durchtrainierte Typen, kein Gramm Fett auf den Rippen und braungebrannt. Die gemeinsamen Gesprächsthemen liegen auf der Hand. Neben mir fachsimpeln während des Kochens zwei junge Schweizerinnen und drei Kanadier über ihre anspruchsvollen Kraxel- und Wandertouren überall in der Welt.

 

Ich verziehe mich diskret in die andere Ecke aus Angst, sie könnten mich in das Gespräch mit einbeziehen. Das geht ganz schnell. Schließlich ist man ja unter Artgenossen.

 

Wie peinlich, wenn ich dann kleinlaut eingestehen müsste, dass wir in einem bequemen Auto reisen…

 

Am nächsten Morgen ist der Himmel strahlend blau. Wir trauen unseren Augen kaum, schlingen hastig das Frühstück runter und stürmen das erste Boot, aus Angst, das Wetter könnte es sich wieder anders überlegen.

 

Und dann erleben wir eine denkwürdige Schifffahrt durch den herrlichen Sound, sehen Pinguine und Seehundkolonien. Das Wasser ist so tief blau, wie es nur sein kann, wenn die Sonne scheint. Was für ein Glück!

 

Der Rückweg über die unangenehme Passstraße ist bei hellem Tageslicht und strahendem Sonnenschein überhaupt kein Problem. Als wir wieder auf der sicheren Straße nach Te Anaun sind, brechen wir in Jubel aus.

Zwei Stunden später setzt der Schneeregen ein.

 

 

Unser Rückweg führt uns über Invergill und Dunedin (beides Städte schottischen Ursprungs) nach Christchurch, wo unsere Reise endet. Erst als wir hier ankommen, verlässt uns das Wetterglück und wir erleben die Stadt nur in wolkenverhangenem Grau. Wir sind uns darüber im Klaren, dass wir genau genommen alle 18 Tage mit diesem miesen Wetter hätten rechnen müssen.

 

Wir wissen das Glück, das wir gehabt haben, sehr wohl zu schätzen.

Trotz des lausigen Wetters hinterlässt Christchurch mit seinen vielen Parks einen großartigen Eindruck. Wir können uns mühelos vorstellen, was im Sommer dort los ist. In deren Sommer, wohlgemerkt. Also so im Dezember. Wenn der Nikolaus kommt. Wahrscheinlich in Shorts und Badelatschen!

 

 

Wir geben am nächsten Morgen unseren Wagen in Christchurch wieder ab. Mehr als 5000 km hat er uns in den letzten 16 Tagen begleitet – ohne Schneeketten zu brauchen.

 

Wir starten am 6. August von Christchurch via Auckland in die Südsee, fliegen ein paar Stunden und landen am 5. August in Rarotonga. Wir haben die Datumsgrenze überflogen und sind jetzt um einen Tag verjüngt. Beim Blick in den Spiegel merkt man aber keinen Unterschied.

 

 

 

Auf Rarotonga gibt es ein weiteres Zeitphänomen: Hier steht die Zeit nämlich still.

 

Wir haben uns von jedem Zeitgefühl verabschiedet, leben in den Tag hinein: Sonne, lesen, Pinacolada. Wir dümpeln mit den Fischen im warmen, glasklaren Wasser der Südsee.

 

Die Insel selber hat so wenig Attraktives zu bieten, dass man sie bestenfalls Flitter-wöchner empfehlen kann, (und natürlich ausgelaugten Neuseelandreisenden). Nach fünf Tagen angestrengten Nichtstuns sind wir reif dafür, die Insel wieder zu verlassen und ins produktive Arbeitsleben zurückzukehren.

 

Der Rückweg führt uns über einen Zwischenstopp auf Tahiti nach Los Angeles und von dort non Stopp wieder nach Frankfurt, wo es nach fast vier Wochen wieder unheimlich gut tut, zu Hause zu sein.