Urlaub 1996:  Im Land der Pharaonen

 

Wir wollen dieses Jahr etwas für unsere Kultur tun. Ägypten als eine der ältesten Hochkulturen der Welt hatte für mich immer schon einen besonderen Reiz: prächtigen Bauwerke inmitten der Wüste, umfassendes Wissen in Medizin, Astrologie und Mathematik, dazu der geheimnisvolle Totenkult eines hochentwickelten Volkes – genügend Gründe sich das Land genauer anzusehen.

 

Und weil man nicht früh genug anfangen kann Bildung zu vermitteln, ist auch unsere Tochter Nicole mit an Bord.

 

Unsere erste Station ist Kairo. Ein Alptraum von Großstadt: laut, stinkend, chaotisch, verstopfte Straßen, lärmendes Gehupe – wir sind heilfroh, als wir im Hotel ankommen.

Die Stadtbesichtigung weist außer der Moschee keine besonderen Highlights auf.

 

Dafür aber das Anthropolo-gische Museum – das größte der Welt. (Das zweitgrößte befindet sich in Mexico City. Das haben wir 1978 auch schon gesehen. Dort liegt der Schwerpunkt allerdings auf den mittelameri-kanischen Kulturen der Azteken, Mayas und Inkas.)

 

Hier jedoch werden wir vertraut gemacht mit den Pharaonen, den Gottkönigen ihrer Zeit. Mumifiziert nach einem Verfahren, das mit dem gesammelten Wissen der Jetztzeit nicht mehr möglich ist, wurden sie in verschachtelten Grabkammern beigesetzt, versehen mit Gold und Geschmeide, damit sie sich in der jenseitigen Welt sehen lassen konnten. Und nicht selten fand man auch die Überreste der Dienerschaft, weil ihr Herrscher wohl auch im Jenseits nicht auf Bedienung verzichten wollte.

 

 

 

 

 

Aufregend aber war der Ausflug nach Giseh, etwa eine Stunde von Kairo entfernt.

 

 

 

Die Ägyptischen Pyramiden! Das letzte noch erhaltene Weltwunder der antiken Welt!

 

Majestätisch erheben sich die drei Pyramiden inmitten der Wüste. Von Nahem besehen wird deutlich, welch eine bauhandwerkliche Meister-leistung der Bau dieser Wunderwerke war. Nur mit Rollen, Seilwinden und schiefen Ebenen! Keine Kräne, keine Radlader, keine Computertechnik! Und die Teile stehen immer noch! Seit 4000 Jahren! Und machen noch keine Anstalten unterzugehen!

 

Unglaublich!

 

Es würde selbst den Experten überfordern aufzulisten, welche mathematischen Rätsel in den Maßen der Cheops-Pyramide verborgen sind, welche exakten Ausrichtungen sie in Bezug auf die Gestirne hat und welche Geheimnisse ihr Inneres bereithält. Das sprengt eindeutig den Rahmen eines Reiseberichts.

 

Beeindruckend auch die Besichtigung der Sphinx. Geheimnisvoll wie eh und je bewacht sie die Grabstätte des Pharao.

Auch ohne Nase!

 

Mit unserer Tochter könnte man gute Geschäfte machen. Blond und blauäugig entspricht sie wohl dem Schönheitsideal der Araber. Die Preise für sie können sich sehen lassen. 20 Kamele werden geboten – ein stolzes Angebot, das mich fast schwach werden lässt. Aber dann scheitert der Deal doch an den mangelnden Stallungen zuhause.

 

 

Nach drei Tagen Kairo soll es per Flugzeug weitergehen nach Luxor. Dort wartet ein Schiff auf uns, das uns bis nach Assuan bringen soll.

 

Die Abreise wird zur Katastrophe.

 

Wir stehen schon seit einer vollen Stunde in der Hotelhalle und warten. Der Bus ist zwar da, nicht aber der Reiseleiter. Mit jeder Minute wird klarer, dass der Kerl wohl verschlafen hat. Wie auch immer – ich entschließe mich die Sache in die Hand zu nehmen. Die restlichen 15 Teilnehmer sind durchweg Ostdeutsche und der englischen Sprache nicht mächtig. Ich verlange nachdrücklich die Herausgabe unserer Pässe, weil wir ohne Reise-leiter losfahren wollen. Die Rezeption weigert sich, weil die Pässe nur dem Reiseleiter ausgehändigt werden dürfen. Erst als ich drohe, dass ich die Hotelleitung in Regress nehmen werde, wenn wir den Flug verpassen sollten, knickt der Concierge ein. Der Busfahrer rast, unter Missachtung sämtlicher Geschwindigkeitsbegrenzungen, zum Flughafen, die Gruppe ist dankbar einverstanden, dass ich das Check-in für alle vornehme, und dann springen wir sozusagen im letzten Moment noch in den Flieger.

 

Das war knapp! Aber die Episode soll noch ein angenehmes Nachspiel haben.

 

In Luxor schiffen wir uns ein, doch bevor es losgeht, beginnt der zweite Teil des kulturellen Pflichtprogramms: ein Besuch der Königsgräber im Tal der Könige! Ungemein beeindruckend! Das geheimnisvolle Ambiente versetzt uns in eine längst vergangene Zeit. 4000 Jahre gleiten an uns vorbei.

 

Auch der Hatschepsut-Tempel in der Nähe beein-druckt. Nur 2 Monate später werden hier bei einem terrori-stischen Attentat 50 Touristen erschossen.

 

Als wir die Meldung hören, verkrampft sich der Magen. Wir kennen ja nun die Örtlichkeit und wissen, dass die Opfer auf dem Präsentierteller lagen. Da war nirgendwo die Möglichkeit, sich zu verstecken. 

 

 

Im Tal Der Könige stehen drei Pharaonengräber auf dem Programm Die Hitze ist mörderisch, und doch erträglich, weil fast keine Luftfeuchtigkeit vorhanden ist. Ein Umstand, der die Konservierung der Leichen in dieser Gegend fördert.

 

Die Grabstätten sind durchweg gut erhalten. Aber der Touristenstrom birgt auch eine Gefahr: das Transpirieren! Deshalb werden alle paar Tage andere Gräber für den Besucherstrom geöffnet. Man kann also nicht vorhersagen, welches Grab besucht werden kann.

 

Uns ist es gleich. Jedes Grab hat seine Besonderheit.

 

In Karnak besichtigen wir die berühmte Säulenhalle: 130 Kolosse, kunstvoll bemalt, auch heute noch mit kräftigen Farben.

 

Dann legen wir ab und gleiten den Nil hinauf Richtung Assuan. Das ist ungemein entspannend. Wir dinieren an Deck, während der Muezzin an Land zum Gebet ruft.

 

Mehrere Landgänge sind vorgesehen: Esra, Edfu, Kom Ombo, Philae. Schließlich hat Nicole die Nase gestrichen voll von den immer gleichen Strich-männchen. So ein wenig kann ich sie verstehen. Auch mir geht unser Reiseleiter mit seiner Detailverliebtheit auf den Geist. Jedes noch so kleine Bild wird ausführlich interpretiert und mit Jahreszahlen belegt, die 5 Minuten später schon wieder vergessen sind.

 

Und das alles bei 40° Hitze!

 

 

In Assuan angekommen wird’s wieder spannend. Ein Bus wartet um 4 Uhr morgens auf uns und bringt uns zu einem Sammelpunkt, wo noch ein weiteres Dutzend Busse wartet. Dazu noch eine Polizeieskorte.

 

Es geht auf nach Abu Simbel, quer durch die Wüste, und die Möglichkeit, dass ein Attentat verübt werden könnte, ist sehr real. Also lieber im Konvoi. Zusammen sind wir stark.

 

Wir erleben den Sonnenaufgang in der Wüste, was ein besonderes Erlebnis ist.

 

In Abu Sim-bel warten schon die 4 Kolossalstatu-en auf ihre Bewunderer. Imposanter Anblick! Interessant auch, dass die Anlage gar nicht an ihrer ursprünglichen Stelle steht. Das Bauwerk stand ursprünglich tiefer gelegen und wurde immer wieder von den Fluten des Nasser-Sees über-schwemmt. In einer international konzertierten Aktion zerlegten Archäologen und Steinmetze unter der Federführung der UNESCO den gesamten Ramses-Tempel mitsamt dem kleineren Hathor-Tempel, der Ramses‘ Lieblingsfrau Nefertiri gewidmet war. Steinquader für Steinquader wurde durchnummeriert und an erhöhter Stelle wieder zusammengebaut. Phantastisch! 

 

Ich verderbe unserem guten Reiseleiter den Tag mit meiner Bemerkung, dass ausnahmslos alle Pharaonen-Statuen (mit Ausnahme der von Echnaton) völlig identisch aussehen mit ihren Pausbacken und dem angedeuteten Bartansatz. Hat es etwa eine einheitliche Schablone gegeben?? Ein Jahr zuvor haben wir in Xian die Terrakotta-Armee besichtigt. Ein paar tausend Krieger, und jeder war individuell anders dargestellt.

 

Jetzt ist der gute Mann beleidigt. Meine offensicht-liche Geringschätzung der ägyptischen Kunst nimmt er sehr persönlich.

 

Auf der Rückfahrt erleben wir noch ein echtes Highlight: eine Fatamorgana, mitsamt gespiegelten Palmen. Die kann man sogar fotografieren!

 

Nach so viel Kultur haben wir uns et-was Entspannung wohl verdient. Eine Woche in Hurghada. Faulen-zen, sonnenbaden, schnorcheln!

 

Wir sind in einem einfachen Hotel gebucht, aber als wir ankommen, sind keine Zimmer mehr frei. Überbucht! „Ist nur für eine Nacht“, versichert uns der Reiseleiter. „Morgen sind die Zimmer frei.“ Wir werden als Übergangslösung ins Hilton Conrad gebracht, und mit dieser Notlösung kann man durchaus leben. Das Haus hat seine 5 Sterne mehr als verdient.

 

Als am nächsten Tag der Umzug in unser eigent-liches Hotel ansteht, ziehe ich meinen Trumpf aus dem Ärmel und erinnere daran, dass es eigentlich meine Initiative gewesen ist, die ganze Reisegruppe von Kairo nach Luxor zu bringen und dass uns der Reiseveranstalter eigentlich noch was schuldig ist.

Ein paar Telefonate später sieht das die Reiselei-tung wohl auch so und wir dürfen für den Rest unseres Urlaubs im Hilton bleiben.

 

 

Die Tage vergehen ohne Zwischenfälle – bis auf den einen: Am Vorabend unserer Abreise kommt mir mein Mann abhan-den.

Ich bin im Hotel geblie-ben, weil mir die ewige Anmache auf den Basars auf den Geist geht. Fritz hat dieses Problem natür-lich nicht, und so startet er allein los.

 

Ich warte. Als er zum Abendessen immer noch nicht da ist, bin ich ernsthaft besorgt. Doch kurz bevor ich die Polizei verständigen kann, kommt er zur Tür herein, kreuzfidel, mit einer Wasserpfeife unterm Arm.

Ich bin unendlich erleichtert.

„Wo, um Himmels willen, bist du denn abgeblie-

ben?“

Es stellt sich heraus, dass er auf der Busfahrt jede Menge Freunde gefunden hat.

„Wir haben Armdrücken gemacht“.

„Wer???“

„Na, der Busfahrer und ich“.

Das glaub ich jetzt nicht. „Der kann doch nicht einfach seine Fahrt unterbrechen.“

„Doch, kann er.“

„Und die anderen Fahrgäste??“

„Die haben angefeuert.“

Mir verschlägts die Sprache. Ägypten ist halt doch eine ganz andere Welt.

Aber eine voller Höhepunkte!