Leseprobe 1

 

Unter Miriams Einfluss beginnt Charles, sein Verhältnis zu seinen Sklaven zu überdenken. Er bemüht sich, Fehler aus der Vergangenheit zu bereinigen.

 

   Der Termin für die Hochzeit stand fest! Charles hatte das Gefühl, als ob dieser 27. September die Geburtsstunde eines neuen Lebens sein würde, eines Lebens, das er derzeit auf Probe lebte, von dessen paradiesischen Momenten er kleine Häppchen abbekam, kleine Kostproben des Glücks, der Erfüllung, umgeben von Menschen, die er liebte und die ihn liebten, die jeden Tag zu einem Ereignis machten, auch wenn nichts, aber auch überhaupt nichts Wichtiges, nichts Gravierendes passierte. Er freute sich jeden Morgen, wenn er neben dem schönen Mädchen mit den klaren Augen aufwachte, er freute sich auf den Tag mit ihr, auf eine Tasse Kaffee mit Ann und Richard und auf einen heiterkeitsträchtigen verbalen Waffengang mit Mike.

   Aber trotzdem hatte er immer das Gefühl, dass es sich nur um ein geborgtes Glück handelte. Noch konnte alles wie eine Seifenblase zerplatzen. Erst mit der Trauung würde alles seine Richtigkeit haben. Er hatte keinen allzu engen Bezug zur Kirche. Aber in diesem Fall brauchte er die offizielle Absegnung, die Bestätigung seines Glücks durch eine unanfechtbare Autorität. Niemand durfte mehr den geringsten Zweifel haben, dass diese außergewöhnliche Frau an seine Seite gehörte. Father Ken McEvan würde der wichtigste Mann des Tages werden. Er noch mehr als der Friedensrichter von Asheville, der ihre Ehe ebenfalls dokumentieren musste.

   Diesen Neubeginn seines Lebens wollte er ernst nehmen. Was in der Vergangenheit passiert war, konnte nicht mehr ungeschehen gemacht werden. Auch die dunklen Punkte seines Lebens würden auf seinem Konto eine unauslöschbare Größe sein, resistent gegen jeden Versuch, sie zu vergessen. Also musste man mit ihnen umgehen, musste sie anpacken. Sie zu ignorieren, zu warten, bis sie von selbst ihre Schändlichkeit verloren – das war der falsche Weg. Er hatte gelernt, sich seinen Fehlern zu stellen, auch wenn es weh tat. Er war es sich und Miriam schuldig, alle Altlasten aus seinem bisherigen Leben zu entsorgen und frei in ein neues Leben zu starten.

   Und da war in der Tat ein übler Fleck auf seiner auch sonst nicht ganz sauberen Weste der Ehre. Was immer mit Maureen im Zusammenhang stand – da konnte er nichts mehr ändern. Aber jemand anderes lebte noch. Und es nagte an Charles, dass er ihm nicht in die Augen sehen konnte.

   Charles durchmaß mit langen Schritten sein Zimmer. Trotz des guten Vorsatzes fiel es ihm nicht leicht, die entsprechenden Taten folgen zu lassen. Um Verzeihung zu bitten – dazu bedurfte es eines besonderen Wortschatzes, über den Charles nicht so locker verfügte. Galanterien und Handküsse waren eher seine Domäne, aber die waren in diesem Zusammenhang nicht sonderlich gefragt.

   Charles gab sich einen Ruck, verließ sein Jagdzimmer und begab sich zu den Sklavenbaracken.

*

   Ungläubiges Erstaunen malte sich in den Gesichtern der sechs Schwarzen ab, als Charles mit einem Ruck die Tür aufmachte und mit zwei Schritten mitten im Zimmer stand. Zu der Geste höflich anzuklopfen – dazu konnte er sich nun doch nicht durchringen.

   Unwillkürlich sprangen die Männer von ihren Plätzen. Links an der Wand stand Zacharias. Sein ebenholzschwarzer, bloßer Oberkörper gab den Blick frei auf jeden Muskel seiner mächtigen Arme. Auch George, der Älteste, der Charles bei seinem Kampf gegen die lausigen Astlöcher geholfen hatte, hatte sein Hemd ausgezogen und verströmte den Eindruck einer elementaren Körperkraft. Jacob, einer der Sänger, Jimbo und Samuel drängten sich aneinander. Ob sie sich gegenseitig schützen wollten vor diesem hochgewachsenen Weißen mit dem durchdringenden Blick oder ob sie eine Mauer aus Aggression bildeten – das war zunächst nicht auszumachen. Doch Charles beachtete sie gar nicht. Sein Interesse galt dem sechsten Mann in diesem Raum.

   „Ich bin gekommen, um mit dir zu reden, Matthew.“

   Matthew antwortete nicht. Er war ein gut aussehender Schwarzer, vielleicht fünfundzwanzig Jahre alt, von mittlerer Statur, aber, wie alle anderen auch, durchtrainiert und bemuskelt durch die tägliche harte Arbeit auf den Feldern. Er starrte Charles an, und sein Gesichtsausdruck war kaum zu deuten. Zu viele widersprüchliche Empfindungen spiegelten sich in seinen Zügen. Da war Angst vor dem Mann, dem er die schlimmsten Augenblicke seines Lebens verdankte, da war auch Hass, aus genau den gleichen Gründen, da war aber auch, und das verwirrte ihn am meisten, ein Anflug von Bewunderung für diesen Herrenmenschen, der kaltblütig und scheinbar ohne jede Sorge um sein Leben hier in ihren Lebensraum eindrang.

   Hier war jedoch weniger Bewunderung angebracht als er glaubte. Charles hatte einfach aus einer arroganten Gedankenlosigkeit heraus die Idee gar nicht erst zugelassen, dass seine Schwarzen aggressiv sein könnten. Dabei hätte ihm die Szene nach dem Tod der alten Thilda schon eine Warnung sein müssen. Er hätte natürlich nicht auf den Besuch in der Baracke verzichtet. Nein, aber er hätte ein Messer oder eine Pistole mitgenommen für den Fall der Fälle. Ein Messer oder eine Pistole, die er jetzt nicht hatte.

   Matthew war immer noch nicht im Reinen mit sich und seinen Absichten. Er verspürte den Drang die Hand zu heben zu dem alles entscheidenden Fanal zum Angriff gegen den weißen Peiniger, empfand jedoch gleichzeitig ein Verzagtsein, das ihm die Hand lähmte. Er schaute hilflos zu Zacharias. Der zügelte in seinen Blicken weder den Hass noch die Verachtung, die er für Charles empfand, rührte sich jedoch auch nicht von der Stelle.

   George, Jacob, Jimbo und Samuel, die restlichen vier Schwarzen, schienen die Gefühlsskala der beiden anderen nicht zu teilen. Sie schickten sich an, den Raum zu verlassen. Der Master wollte mit Matthew sprechen, nicht mit ihnen.

   „Bleibt!“, befahl Charles, ohne Schärfe in der Stimme. „Ihr könnt alle hören, was ich Matthew zu sagen habe. Setzt euch wieder.“

   Die Männer gehorchten. Lediglich Matthew und Zacharias blieben stehen, in einer ungemütlichen Mischung aus Unsicherheit und Trotz. Charles insistierte nicht.

   „Zieh dein Hemd aus!“, befahl er Matthew. Und auch diesmal entschärfte der moderate Ton den Befehl. Matthew ließ sich einen langen Moment Zeit, seinen Blick fest verhakt in den von Charles, dann zog er langsam sein Hemd aus.

   Charles war froh, dass er einen Grund hatte, seine Augen von denen seines Gegenübers zu lösen. Das war kein einfaches Duell gewesen. Er hatte den Blick eines Mannes aushalten müssen, in dem er die ganze Verachtung für eine schändliche, ruchlose Tat verspürte, den Vorwurf, ein verdammter, ehrloser Schweinehund zu sein. Und das Schlimmste war, dass er dem noch nicht einmal widersprechen konnte – weder in Worten, noch in Blicken. Er widmete schließlich mit einiger Erleichterung sein ganzes Interesse den beiden Narben an Matthews rechtem Oberarm und an der linken Hüfte. Dann holte er tief Luft. Er wollte es hinter sich bringen.

   „Diese Narben habe ich ihm beigebracht“, sagte er mit klarer Stimme. Der Adressat seiner Worte war nicht ganz klar. Vielleicht war das als Erklärung für die fünf anderen Anwesenden im Raum gedacht, wobei er davon ausgehen konnte, dass jeder im Raum die Geschichte dieser Verletzungen kannte. Vielleicht redete er aber auch zu sich selbst, in dem Bemühen, schuldhaft Gewordenes klar auf den Punkt zu bringen, um dadurch den Selbstreinigungsprozess zu ermöglichen.

   Die Schwarzen im Raum hielten den Atem an. Das Gespräch nahm eine erstaunliche Wendung.

   „Ich erinnere mich nicht mehr an alles“, fuhr Charles fort. „Ich glaube, du hattest einen Krug zerbrochen. Keinen wertvollen, aber das war auch nicht wichtig. Der Krug war ohnehin nur ein Vorwand dafür, einen Menschen quälen und demütigen zu können.“

   Er schwieg einen Moment lang. Dann sagte er:

   „Das war schlimm. So darf man einen Menschen nicht behandeln.“

   Seine Stimme ließ jedes Pathos vermissen. Er erklärte mit einfachen Worten einen einfachen Sachverhalt. Sein Blick suchte wieder den seines Gegenübers. Fassungslos sah Matthew seinen Herrn an. Doch jetzt waren es seine Augen, die verschwammen und die Konfrontation zu scheuen schienen.

   „Ich könnte mein Verhalten erklären durch meine Krankheit, aber entschuldigen kann ich es nicht. Es bleibt ehrlos und niederträchtig.“

   Das waren eigentlich stärkere Worte als er beabsichtigt hatte, aber das war ihm jetzt gleichgültig. Er sah im Geiste wieder die panisch aufgerissenen Augen des Jungen, der versuchte, sich vor den fliegenden Messern in Sicherheit zu bringen, hörte den Schrei, als ihn das Messer zum ersten Mal traf, sah die Pistole in seinen Händen, mit der er den jungen Schwarzen zwang, die Messer wieder einzusammeln und sie ihm zu bringen, damit das Spiel in die zweite Runde gehen konnte. Wieder sah er die Messer fliegen. Er war gut im Werfen, zielsicher und geschickt. Noch konnte er schwungvolle Bewegungen ausführen. Ein Jahr später würden ihm Vergnügungen dieser Art nicht mehr möglich sein. Da würden seine Gliedmaßen in einem Panzer von Schmerz gefangen sein. Aber noch ging es lustig zu. Er traf den Jungen ein zweites Mal, diesmal in der Hüfte, kommentierte den Treffer mit einem wilden Lachen – bis Winston den Raum betrat, ihm die fast leere Whiskeyflasche abnahm und bitterlich zu weinen anfing. Die Tränen des Alten zerrissen einen Vorhang in ihm, der ihm seine Niedertracht und seinen moralischen Abstieg schonungslos vor Augen führte, und er schämte sich zutiefst. Aber ungeschehen machen konnte er weder die Fleischwunden des Jungen an Oberarm und Hüfte, noch die unsichtbaren Wunden, die noch schlimmere Narben auf seiner Seele hinterließen.

   „Ich kann es nicht mehr rückgängig machen, was passiert ist. Ich kann nur hoffen, dass du mir verzeihen kannst.“

   Charles’ Stimme war absolut sachlich. Keine überflüssige Gefühlsduselei, auch keine übergroße Zerknirschung – es war lediglich die ungeschminkte Darlegung einer ruchlosen Schandtat, deren Urheber er war. Nicht mehr und nicht weniger!

   Matthews Blick flackerte. Was hier geschah, passte in kein Schema mehr. Sein Herr, dieser unnachsichtige, reizbare und oft unbeherrschte Weiße, bat ihn, den schwarzen Sklaven, um Verzeihung! Und das vor allen anderen! Jeder konnte diese seine Selbstbezichtigung miterleben. Ratlos flog sein Blick zu Zacharias.

   „Warum tun Sie das?“, fragte der an seiner Stelle. Seine Stimme klang heiser, gepresst, als habe er Mühe zu sprechen.

   Eigentlich war Charles nicht bereit, dessen Fragen zu beantworten. Er wusste um die tiefe Aversion, die Zacharias für ihn bereit hielt, und er teilte sie, weil er von dem rebellischen Schwarzen nichts als Scherereien gewohnt war. Aber er hatte die Männer zum Bleiben aufgefordert und ihnen damit auch in gewisser Weise das Recht auf Teilhabe an diesem Gespräch eingeräumt, auch diesem Halunken Zacharias, dessen Blicke nicht die mindesten Zweifel zuließen, wie viel Wut und Groll unter seiner schwarzen Haut brodelten.

   „Ich werde in nicht ganz drei Wochen heiraten. Eine ganz besondere Frau heiraten. Da will ich versuchen, mit meinem Gewissen im Reinen zu sein. Und die Sache mit Matthew war schlimm.“

   Eine Pause entstand. Das ehrliche Geständnis verlangte nach Zeit, um sich in den Köpfen aller Anwesenden seinen Platz zu suchen. Doch Zacharias hatte seine eigenen Schwerpunkte in diesem Gespräch ausgemacht. Sie hatten nichts mit Matthew zu tun.

   „Sie hat schwarzes Blut in sich.“

   Charles war nicht undankbar für die veränderte Stoßrichtung. Über Miriam zu reden war entschieden angenehmer.

   „Wie du siehst, stört mich das nicht. Sie wird ein schönes Leben an meiner Seite haben – und die Möglichkeit alles zu tun, was sie für richtig hält.“

   Zacharias brauchte nur einen ganz kurzen Augenblick, bis es ihm wie Schuppen von den Augen fiel, bis ihm klar wurde, dass er jede Hoffnung, jeden Anspruch auf Miriam vergessen konnte. Hatte es vorher schon keinen Grund gegeben an Gefühle zwischen ihm und dem Mädchen zu glauben, so machten Charles’ wenige karge Worte klar, dass er nicht das Recht hatte von ihr zu verlangen, dass sie ein Leben in Reichtum und Luxus ausschlagen konnte, um an seiner Seite ein unfreies Sklavendasein zu führen. Miriam war in unerreichbare Fernen entschwunden, und je eher er dies akzeptierte, desto besser würde es sein. Versagen und entsagen – das waren die festen Größen in seinem Leben. Wieder einmal würde es eine weitere Variante dieses Musters geben. Eine besonders schmerzhafte Variante. Aber er war die Peitschenhiebe des Schicksals gewohnt.

   Er liebte Miriam genug, um ihr das Potenzial an Glück an der Seite des reichen Masters zu gönnen. Er war auch realistisch genug zu wissen, dass selbst der Tod des verhassten Weißen ihn seinem Ziel keinen Deut näher bringen würde. Er würde nur die Trauer der Frau, die er liebte, hervorrufen, sie aber unmöglich in seine Arme treiben. Eine tiefe Resignation griff Raum in seinem Innern, eine Resignation, die er sehr gut kannte, die ihn sein ganzes Leben schon begleitet hatte, die besonders in den Fällen übermächtig wurde, wenn er an den Stäben seines inneren Gefängnisses rüttelte, wenn er mit selbstmörderischer Verzweiflung gegen seine Unfreiheit rebellierte, Fluchtversuche unternahm, die wiederum kläglich scheiterten und die ihn, noch tiefer gedemütigt, wieder in sein Sklavendasein zurückwarfen, mit dem von der Peitsche zerschundenen Rücken und einer noch viel schlimmer gemarterten Seele.

   Miriams Einsatz damals, als das Seil schon um seinen Hals gelegt war, und sie um sein Leben bat – da war es das erste Mal in seinem trostlosen Leben gewesen, dass irgendjemand sich für ihn eingesetzt hätte. Die Erfahrung war so ungeheuerlich gewesen, dass ihm schwindelte. Doch er erkannte – nicht mit seinem Verstand, sondern mit seinem Gefühl – dass er Dankbarkeit, vielleicht Verehrung, nicht mit Liebe verwechseln durfte.

   Was er sehr wohl mit seinem Verstand wahrnahm, war, dass Miriam als Herrin von Eastbourne Castle für sie, die Schwarzen, vieles zum Guten drehen konnte. Eine Kostprobe hierfür erlebten sie gerade hautnah mit: Dieser arrogante Herrenmensch hatte sich in ihre Hütte begeben, bat einen von ihnen um Verzeihung und antwortete sogar auf sehr persönliche Fragen. Niemand hätte dagegen gewettet, dass dieses Verhalten einzig und allein Miriams Einfluss geschuldet war. Dieser unerträglich überhebliche Egoist war zu einem wirklichen Menschen geworden. Wenn man genau hinsah und sich zu einer gewissen Objektivität durchringen konnte – sogar zu einem der sympathischen Sorte!

   Er brach das Gespräch ab. Reden war ohnehin nicht seine Stärke, und gleich zwei Sätze formuliert zu haben – das erschöpfte fast schon das Kontingent für einen ganzen Monat!

   Charles wandte sich wieder Matthew zu, der ihn immer noch ratlos anstarrte. Charles wagte den entscheidenden Schritt. Er hielt ihm die offene Hand hin. Die Versöhnung trat in eine finale Phase.

   „Glaubst du, dass du mir verzeihen kannst?“

   Auch jetzt wieder kühle Sachlichkeit in der Stimme. Es war die informative Frage, ob Matthew bereit war, zu vergeben und zu vergessen. Wenn der Schwarze dazu in der Lage war – gut. Wenn nicht, dann hatte er seins getan. Mehr konnte er nicht tun. Wenigstens hätte er es versucht.

   Matthew sah die ausgestreckte Hand an, rührte sich aber nicht. Charles hatte die Geduld und den Anstand, dem jungen Schwarzen die Zeit für seinen inneren Kampf zuzugestehen.

   „Wenn du nicht einschlagen willst, werde ich das akzeptieren“, sagte er nach einer Weile. Die ausgestreckte Hand zeigte immer noch in Matthews Richtung, obwohl die Länge der Wartezeit schon fast ein wenig peinlich war. „Aber wenn du einschlägst, dann solltest du das auch so meinen“, fuhr er fort. „Ein Handschlag – das ist ein bindender Vertrag zwischen Ehrenmännern.“

   „Ehrenmänner?“, wiederholte Matthew heiser. Charles nickte.

   „Natürlich.“

   „Sie sehen in mir einen Ehrenmann?“

   „Warum nicht?“

   Jetzt näherte sich die schwarze Hand zaghaft der ausgestreckten weißen – und schlug ein. Charles’ Züge entspannten sich ein wenig. Es wäre doch ein übler Gesichtsverlust gewesen, wenn ihm ein Sklave den Handschlag verweigert hätte. Er war zufrieden mit dem Verlauf des Gesprächs. Er hatte eine alte Schuld beglichen, die ihn tatsächlich gedrückt hatte, er hatte einen Todfeind weniger, und er konnte nicht sehen, dass sein Ansehen unter den Sklaven gelitten hätte – trotz der schonungslosen Selbstbezichtigung. Er verströmte, selbst wenn er um Verzeihung bat, so viel Autorität, dass es zu keinem Zeitpunkt demütigend wirkte. Auf den Gesichtern der Umstehenden spiegelte sich der Ausdruck tiefster Zufriedenheit, ja sogar Freude. Eine Aussöhnung zwischen Matthew und ihrem Herrn – das passte in das neue Bild, das sie von Eastbourne Castle bekamen: einem Ort, wo es allmählich wieder Spaß machte zu leben.

   Der schwarze und der weiße Mann maßen sich immer noch mit Blicken, doch hatte keiner mehr Schwierigkeiten, dem anderen standzuhalten. Fronten waren geklärt, offene Wunden waren versorgt, eine verletzte Seele hatte Genugtuung erhalten – ein Heilungsprozess konnte beginnen, der zur absoluten Gesundung führen sollte – auf beiden Seiten. Charles wollte dazu beitragen, ihn zu beschleunigen.

   „Ich würde dir gerne einen Wunsch erfüllen, sozusagen um das Kriegsbeil ein für allemal zu begraben. Gibt es etwas, was du dir wünschst?“

   Matthew war auf dieses Angebot nicht gefasst. Hilflos zuckte er mit den Schultern.

   „Na, komm schon. Irgendwas wirst du dir doch wünschen! Wer weiß, wann solch ein Angebot wieder auf den Tisch kommt.“

   Matthew holte tief Luft. „Ich würde gerne den Blumenschmuck übernehmen bei Ihrer und Miss Miriams Hochzeit.“

   „Selbstverständlich. Gerne. Aber das ist doch ein Wunsch, von dem Miriam und ich profitieren. Ich möchte, dass du für dich selbst einen Wunsch benennst.“

   Der Junge zögerte einen langen Augenblick, dann sprach er ihn aus.

   „Ich würde gerne einmal reiten. Wie ein Herr.“

   „Du magst Pferde?“

   Matthew nickte nachdrücklich. „Sehr.“

   Charles überlegte keinen Moment.

   „Dann komm mal mit“, sagte er. „Ich glaube, das wird dir gefallen.“

   Er wollte sich gerade umdrehen, um den Raum zu verlassen, als eine massige Gestalt den Türrahmen ausfüllte. Josua erschien, die Augen düster und hasserfüllt auf Charles gerichtet. Seine beiden Hände hatte er in den Hosentaschen versenkt. Der Zeitpunkt zum Handeln war gekommen. Dieser unverfrorene, leichtsinnige Weiße war in ihre Sphäre eingedrungen, arrogant, unbesorgt, dass ihm irgendetwas widerfahren könnte. Josua würde ihn vom Gegenteil überzeugen.

   Ein Blick auf die Gesichter der anderen sagte ihm sehr schnell, dass er sich auf die nicht verlassen konnte. Da malte sich weder Wut noch Hass ab. Eher Sorge, die aber an seine Adresse ging. Was hatte er vor?

   Josua war entschlossen, zur Not die Sache allein durchzuziehen. Matthew und Zacharias würden sich schon auf seine Seite schlagen, wenn es so weit war. Er musste den Anfang machen. Vor allem aber wollte er sich nie wieder von einem unbewaffneten Weißen dermaßen lähmen lassen, wie das damals nach dem Tod der alten Thilda der Fall gewesen ist. Er hatte durch sein eigenes feiges Verhalten den falschen Mythos von der Überlegenheit der weißen Rasse bestätigt. Er hatte vor dem selbstsicheren Verhalten des Weißen gekuscht. Die Galle kam ihm immer noch hoch, wenn er daran dachte.

   Charles wollte den Raum verlassen, als Matthew wieselflink an ihm vorbeihuschte und vor seinem Herrn auf die Tür zuging. Er kam bis zu Josua, der ihm den Weg versperrte. Josuas Augen bohrten sich in die Matthews, ließen keinen Zweifel über seine Absichten. Matthews Blick flackerte keinen Moment. Er zeigte eine mutige Entschlossenheit, die Josua zuerst fehlinterpretierte. Doch dann merkte er, dass der Zorn in den Augen des Jungen ihm galt. „Lass mich durch!“, zischte er kaum hörbar durch die Zähne. Doch mutig ging Matthew weiter, bis es zu einem Körperkontakt mit dem anderen kam, der partout nicht weichen wollte. Es sah für den Unbeteiligten aus, als stünde man sich zufällig unbeabsichtigt im Weg. Unnachgiebig setzte der junge Schwarze Schritt für Schritt seinen Weg fort, zwang den anderen zurückzuweichen und schaffte Platz, dass Charles ungehindert aus der Tür treten konnte. Er spürte Zacharias an seiner Seite, der ebenfalls durch eine unaufhaltsame Vorwärtsbewegung Josua in die Defensive brachte und seine Rückwärtsbewegung erzwang.

   Josua verstand. Nicht nur, dass diese beiden Verräter ihm nicht helfen würden – sie verhinderten auch noch die Tat, die ihnen doch allen die Freiheit bringen könnte. Kapierten diese hündischen Naturen nicht, welche Chance sich ihnen bot? Freiheit – wenn sie es denn schaffen konnten, sich gegen die paar Weiße durchzusetzen, was im Bereich des Möglichen war. Die meisten waren noch auf den Weiden. Rache – wenn es ihnen gelänge, diesem großen Kerl die Kehle durchzuschneiden. Rache für die große Demütigung, die in ihrer Verknechtung bestand. Welch ungeheures Potenzial an ausgleichender Gerechtigkeit bot sich ihnen hier – und sie nutzten es nicht!

   Das tödliche Messer blieb in Josuas Tasche. Matthew und Zacharias deckten mit ihren Leibern den Körper ihres Herrn ab. Er hätte einen von ihnen niederstechen müssen, um an Charles heranzukommen. Angewidert spuckte der Schwarze aus, stieß einen üblen Fluch zwischen den Zähnen hervor und gab den Weg frei.

   Charles überlegte, ob er die beiden tadeln sollte, weil sie vor ihm den Raum verlassen hatten, was entgegen jeder Schicklichkeit war, was die unantastbare Hierarchie zwischen Herr und Diener dreist unterlief, doch er unterließ es. Er wollte die neu aufkeimende Entspannung zwischen ihnen nicht durch Kleinlichkeiten belasten.

   Er tat gut daran, denn der Beitrag, den die beiden anderen zu diesem Neubeginn geleistet hatten, war vergleichsweise unverhältnismäßig viel größer.

   Charles hatte keine Ahnung, dass Matthew und Zacharias ihm soeben das Leben gerettet hatten.

*

   Sie kamen bei den Ställen an. Längst hatte sich der Tross, der Charles und Matthew folgte, um den Rest des gesamten Sklavenbestandes vergrößert, lediglich Josua fehlte. Zu unbezähmbar war die Neugier, die sie gepackt hatte. Flüsternd machte es die Runde, welches Anliegen ihren Herrn in die Sklavenhütten geführt hatte und beredte Blicke kommentierten die erneute Ungeheuerlichkeit. Ihr Master war zu einer unberechenbaren Größe geworden. Doch solange diese Erstaunlichkeiten sich in so angenehmen Rahmen bewegten, so lange wollte man sich nicht beschweren.

   Red Culver kam aus den Ställen und staunte nicht schlecht über den seltsamen Aufzug an Hauptdarstellern und Publikum.

   „Matthew, das ist Red Culver. Er kümmert sich um unsere Pferde“, stellte Charles vor, als ob das völlig neu für Matthew wäre. „Ich habe den Eindruck, Red, dass dich die Arbeit hier doch ziemlich fordert. Hab ich recht?“

   Das tat sie eigentlich kein bisschen, und Culver war sich nicht sicher, ob in dieser Frage nicht ein versteckter Vorwurf lag, er würde seine Arbeit nicht ordentlich erledigen. Er hatte nicht die leiseste Idee, was das ganze Theater hier sollte und was jetzt die angemessene Antwort war. Aber es gab Fragen, auf die nur eine einzige Antwort passte. Und wenn der Herr dieses Schlosses schon seine Meinung in feste Formulierungen gepackt hatte, dann gab es nur noch die Möglichkeit, sie zu bestätigen. So waren nun mal die Spielregeln.

   „Ja, Sir. Ist ‚ne Menge.“

   „Siehst du?“ Die Bestätigung schien Charles zutiefst zu befriedigen. „Deshalb werde ich dir eine Hilfe an die Hand geben. Das hier ist Matthew. Er mag Pferde und wird dir ab sofort bei der Arbeit helfen. Wir haben derzeit mehr als genug Leute, die sich um die Felder kümmern. Ist das ein Wort?“

   Die Frage galt Matthew und war eigentlich so überflüssig wie ein Kropf. Die Augen des Schwarzen strahlten. Aber Charles war noch nicht fertig.

   „Wie geht es Tennessee Lady?“, fragte er Culver. „Kann sie noch geritten werden?“

   „Sicher, Sir. Aber man sollte sie nicht mehr so sehr fordern.“

   „Hol sie her!“

   Tennessee Lady war seine Stute, die ihn jahrelang durch dick und dünn getragen hatte. Eine Verletzung am linken Hinterlauf, eine Knochenabsplitterung, hatte sie monatelang außer Gefecht gesetzt und Charles dazu gezwungen, sich für ein anderes Pferd zu ent­scheiden. Doch er hätte es nie übers Herz gebracht, das Pferd zu erschießen. Zu viel verband ihn mit dem treuen Tier, das nun schon über zwanzig Jahre alt war.

   Als Culver die Stute herbrachte, gab es ihm einen Stich ins Herz. Er erinnerte sich wieder daran, wie das pfeilschnelle Tier mit dem Wind um die Wette gelaufen war, um ihn aus einem Kampfgetümmel herauszubringen, einem üblen Hinterhalt, der vier von Finns Männern das Leben gekostet hatte, die nicht das Glück hatten, ein solch edles Tier unterm Sattel zu haben. Das würde er der Stute nie vergessen, hatte er sich damals geschworen. Ein Schwur, der vergessen wurde, wie so viele andere wichtige Dinge, die ihre Gewichtung verloren, als andere Wichtigkeiten ihren Raum einnahmen.

   „Na, altes Mädchen, wie geht’s denn so?“, fragte er leise und kraulte sie hinter den Ohren. Das mochte sie besonders gern. Die Stute senkte den Kopf und ließ sich die Liebkosung gern gefallen. Mit geblähten Nüstern sog sie den seinerzeit so vertrauten, aber dann in Vergessenheit geratenen Geruch ihres Herrn ein. Charles ließ sich ausgiebig Zeit sie zu streicheln und tätschelte ihr den Hals.

   „Ich brauche dringend jemanden, der sich um dieses edle Tier hier kümmert“, erklärte Charles kategorisch. Culver fiel vor Erstaunen die Kinnlade runter. Seit acht Jahren war es ihm herzlich egal gewesen, was mit dem Tier passierte und jetzt rutschte die Betreuung der alten Pferdedame in der Prioritätenliste ganz nach oben! Aber es war ohnehin der Tag der Überraschungen, und da wollte er sich über nichts mehr wundern. Wer konnte schon ahnen, was in diesen hochherrschaftlichen Köpfen vor sich ging!

   „Was ist? Willst du mal aufsteigen?“, fragte er Matthew. Ein Leuchten ging über dessen Gesicht, und er nickte. Seine Stimmwerkzeuge waren ganz offenbar derzeit nicht einsatzbereit.

   Culver half dem Schwarzen beim Aufsteigen auf den bloßen Pferderücken. Charles drückte ihm den Führstrick in die Hand und dann führte Culver Pferd und Reiter im Hof einige Runden im Kreis. Endlich löste sich der Bann, der die ganze Zeit über der Szenerie gelegen hatte, diese gespannte Erwartung, ob sich dies alles nicht doch noch als ein übler Schwindel herausstellen könnte, als das Aufwachen aus einem schönen Traum, der eine lebenswerte Welt zum Thema hatte.

   Jacob war der erste, der applaudierte. Und dann entlud sich die Begeisterung der anderen über das Glück, das Matthew hier widerfuhr, in einem wilden Klatschen, in anfeuernden Rufen, die sich in einen skandierenden Singsang fortführten und fast zwangsläufig in rhythmischen Tänzen endeten. Matthew saß immer noch auf dem Pferderücken, das schwarze Gesicht war ein einziges Strahlen, und glücklich kraulte er die Mähne der alten Stute. Er würde dafür sorgen, dass sie einen schönen Lebensabend bekäme.

   Charles zog sich unauffällig zurück.

   Ein guter Tag!

 

 

 

 

   Leseprobe 2

 

Der Kampf um Eastbourne Castle beginnt.

 

*

   Finn und Ken hatten es sich wieder im Jagdzimmer gemütlich gemacht. Es war eine liebgewordene Gewohnheit geworden, den Abend bei einem guten Glas Wein und noch besseren Gesprächen zu beschließen. Die Zeit drängte. Nur noch drei Tage. Dann musste Finn wieder nach Fort Russel zurück.

   Mitternacht war schon vorüber. Nur das Kaminfeuer erhellte den Raum spärlich. Die Stimmung war gelöst. Die Männer lachten über eine Anekdote, die Finn gerade zum Besten gegeben hatte. Da öffnete sich die Tür. Winston betrat den Raum.

   Auf den ersten Blick sah Charles, dass etwas nicht stimmte. Die weißen Augen in dem schwarzen Gesicht rollten wild, und allein schon die Tatsache, dass er diese geheiligte Runde störte, verhieß nichts Gutes.

   „Was ist los, Winston?“

   Der Alte druckste herum. „Master Charles, aus dem Schlafzimmer kommt so ein Stöhnen. Vielleicht sollten Sie nachsehen, ob es Mrs. Miriam gut geht.“

   Charles war sofort auf den Beinen. „Hol Doc Perkins! Hoffentlich ist nichts mit dem Baby.” Er rannte mit langen Schritten ins Schlafzimmer, Finn und Ken folgten ihm.

   Der Raum verströmte eine Eiseskälte, die die Jahreszeit nicht rechtfertigte. Sie kroch den Männern bis ins innerste Mark, ließ sie frösteln.

   Miriam lag auf dem Bett. Das schweißnasse Gesicht hatte die Farbe des Lakens, der ganze Körper wurde von konvulsivischen Zuckungen geschüttelt, ihr Atem ging röchelnd. Ein angstvolles Stöhnen zerriss die entsetzte Stille, als die Männer hilflos an ihrem Bett standen und zusahen, wie sich die junge Frau in Krämpfen wand. Ihre Augen waren weit geöffnet, und trotzdem schien sie nichts wahrnehmen zu können. Charles fasste nach ihrer Hand. Auch sie war schweißnass und eiskalt.

   „Miriam!“, rief er angstvoll. „Hörst du mich?“

   Sie gab keine Antwort. Ihr Kopf schlug hin und her, als wolle sie einen bedrückenden Albtraum loswerden. Charles glaubte zu verstehen.

   Winston und der Doktor kamen angelaufen. Aber Charles war sich sicher, dass dies kein Fall war, bei dem George helfen konnte. Er schickte Winston in den Westflügel.

   „Los, Winston! Sag Ann und Richard Bescheid.“

   George Perkins hatte ihren Arm ergriffen und fühlte den Puls.

   „Grundgütiger Himmel! Der rast ja schneller als ich zählen kann. Das hält das Herz nicht lange durch.“

   Charles versuchte wieder, zu ihr durchzudringen. Er packte sie an den Schultern und schüttelte sie sacht. „Miriam! Um Gottes Willen, komm zu dir!“ Doch ihre Augen blickten nach wie vor wirr. Sie hörte ihn nicht.

   Ann stürzte ins Zimmer. Sie hatte sich nicht die Zeit genommen, sich anzukleiden. Charles machte ihr sogleich Platz. Sie griff nach Miriams eiskalter Hand.

   „Warmes Wasser! Tücher! Schnell!“, befahl sie. „Mammy wird auch gleich da sein.“ Während Winston nach unten eilte, um das Wasser zu holen, drückte Ann fest ihre Hand mit beiden Händen, rieb sie, versuchte, wieder Wärme in sie einfließen zu lassen.

   „Miriam!“, rief sie eindringlich. „komm zurück!“

   Das Zittern wurde etwas schwächer, doch der Anfall ließ sie nicht los. Wieder stöhnte sie und fiel in die Unruhe ihres Albtraums zurück. Die Qual, die daraus sprach, ließ allen im Raum das Blut stocken.

   Winston brachte das Wasser und versuchte, mit den warmen Tüchern auf ihrer Stirn wieder etwas Leben in ihre Erstarrung zu bringen. Das war eine Handlung, die hatte er drauf. Ob warme Tücher oder kalte – da machte ihm keiner was vor. Doch als Mammy kam, trat er zur Seite. Mammy legte ihre beiden Hände an ihre Schläfen und sammelte sich. Dann begann sie leise zu singen. Worte, die niemand verstand, ein magischer Singsang, der urplötzlich einen Bann um sie alle schlug und sie lähmte. Niemand vermochte sich zu bewegen, alle standen reglos und schauten voller Entsetzen auf die junge Frau.

   Langsam verlor sich deren Zittern, der Krampf schien sich zu lösen, ein Hauch von Farbe trat wieder in ihr Gesicht. Ihre Augen gewannen an Klarheit, zeigten an, dass sie, zutiefst erschöpft, wieder in ihre Welt zurückkehrte.

   Richard stand plötzlich neben ihrem Bett. Er war vollständig angekleidet. In der Hand hielt er einen Degen. Er war der einzige, der offenbar in der Lage war, sich diesem seltsamen Bann zu entziehen.

   „Miriam! Sag uns, was los ist! Bitte!“

   Sie öffnete den Mund, rang sichtlich nach Worten. Dann flüsterte sie unter großen Mühen: „Das Schloss ist in Gefahr. In großer Gefahr!“

*

 

 

     Leseprobe  3 

 

  Nach dem furchtbaren Kampf hat Mike einen gelähmten Arm - ein Schicksal, das ihn fast zerstört. Auch seine Liebe zu Jenna ist in Gefahr.

 

 

   Vier Wochen gingen ins Land, in denen wenig passierte, zumindest nicht, was das Äußerliche anging. Die Tumulte in Mikes Innerem waren für die anderen nicht existent.

   Doch dort, an unbeobachtetem Platze, schlug er die absonderlichsten Schlachten gegen übermächtige Gegner: Ängste, Selbst-vorwürfe, Verzagtheit, Sehnsüchte. Sie waren omnipräsent und ließen ihm nicht die geringste Pause zum Luftholen.

   Er suchte immer noch das Alleinsein am Fluss, nur begleitet von Goliath. Doch gerade in der Einsamkeit lauerten sie, seine stets verfügbaren Feinde, drängten sich auf und zwangen ihn unerbittlich, sich ihnen zu stellen.

   Doch das war die deutlich bessere Alternative als das lethargische Phlegma, das jede Auseinandersetzung mit Leben zum Erlöschen gebracht hatte. Es brodelte, es rebellierte in ihm. Seltsame Ideen entstanden, Ideen, die sich dagegen wehrten, dass sein derzeitiger Zustand das Ende der Fahnenstange sein könnte.

    Und immer stand Jenna im Mittelpunkt all seiner Gedanken, als ob sie der Rettungsanker wäre, der ihn aus seinen Abgründen herausholte. Doch gleichzeitig war die Vorstellung von ihr auch immer verbunden mit Schmerzen der wunderlichsten Art.

   Die Abende mit Miriam gewannen etwas an Lebhaftigkeit. Sein Interesse an ihren immer noch vergeblichen Heilungsversuchen schien etwas größer geworden zu sein. Doch es änderte nichts an der Tatsache, dass die Lahmheit blieb.

   „Glaubst du wirklich, dass sich da noch was tut, Prinzessin?“

   „Solange du die Hoffnung nicht aufgibst, kann immer noch was passieren“, antwortete sie.

   Doch das eigentliche Glücksmoment lag in der zärtlichen Anrede, zu der er zurückgefunden hatte.

*

   „Ich fahre übermorgen nach Asheville“, verkündete Charles.

   Er hatte Briefe, die er zur Poststation bringen wollte. Aber sein eigentliches Anliegen sollte ihn zu Rupert O’Neill führen, dem Besitzer der Steinbrüche im Südwesten von Asheville. Die neuen Sklavenbehausungen sollten aus solidem Stein sein, nicht mehr aus den witterungsanfälligen Hölzern. O’Neill sollte die Steine liefern.

   Am Vorabend der Abreise überraschte Mike die abendliche Tafelrunde mit einem unerwarteten Vorschlag.

   „Wie sieht’s aus, Edelmann, brauchst du für deine Fahrt nach Asheville einen schlagkräftigen Leibwächter?“ Die spröde Selbstironie war zwar heraushörbar, aber erträglich.

   Ann und Richard tauschten einen glücklichen Blick, und auch Charles jubelte innerlich. Wenn einer wusste, wie es sich anfühlte, wenn der Geist in einem schwarzen Loch hauste, aus dem er nicht mehr herausfand – dann er. Dieses unerwartete Angebot seines Freundes, ließ aufhorchen.

   „Aber natürlich! Asheville ist ein entsetzlich gefährliches Pflaster. Das wäre eine richtige Beruhigung für mich, wenn ich dich an meiner Seite hätte“, lachte er.

   Mike antwortete nicht. Aber dass kein bissiger Kommentar angesichts des Stichworts ‚richtige Beruhigung’ kam, war auch schon ein Fortschritt.

   Großartig! Mike schien endlich bereit zu sein auszutesten, wie die Welt mit seiner Behinderung umging.

   Und wie er mit der Welt umging.

*

   Der Knoten in seinem Magen war besonders kunstvoll geknüpft und solide festgezurrt. Er ließ ihm kaum Luft zum Atmen. Mike hatte keine Idee, was ihn erwartete, noch nicht einmal eine davon, was er eigentlich wollte. Die einzige feste Größe in diesem Gewaber von Unsicherheiten und Unwägbarkeiten war ein Abschiedskuss gewesen, vier volle Wochen zurückliegend, so leidenschaftlich, dass die Lahmheit seiner Hand kurzfristig in den Hintergrund getreten war.

   Jenna wiederzusehen, zu prüfen, welche Bedeutung man dieser Leidenschaftlichkeit beimessen sollte und ob sie sich überhaupt auf neutralem, wenn nicht sogar auf feindlichem Terrain aufrecht-erhalten ließ, war eine spannende Angelegenheit. Er hätte sie gerne unter dem sportlichen Aspekt gesehen – wenn nur nicht solch eine Kleinigkeit wie sein Lebensglück davon abgehangen hätte...

*

   Die Hauptstraße lag vor ihnen. Charles überlegte kurz, ob er den Staub der langen Anreise mit einem Bier im Saloon runterspülen sollte, doch er entschied sich dagegen. Zuerst wollte er die geschäftlichen Angelegenheiten unter Dach und Fach bringen. Für den gemütlichen Teil war nachher auch noch Zeit.

   „Ich gehe mal davon aus, dass du keine Lust hast, mich zu O’Neill zu begleiten“, mutmaßte er.

   „Richtig gedacht. Traust du dir zu, ein paar Stunden ohne meinen wertvollen Schutz auszukommen? Dann bleib ich lieber hier.“

   „Ich geb’ mein Bestes!“, antwortete Charles.

   „Ich werd’ in der Zwischenzeit schon mal die Sachen aus dem Laden besorgen.“

   „Tu das! Ich hab‘ sowieso keine Ahnung, welche Hirsesorte die bessere ist. Ich denke mal, ich bin in zwei bis drei Stunden wieder zurück.“ Mike nickte. Sie trennten sich.

   Der Weg zum Laden führte Mike durch die Hauptstraße, vorbei an Perrets Saloon, vorbei an Parkers Haus, vorbei an der Bank, bis zum Ende der Straße. Köpfe erschienen an den Fenstern, Arbeiten wurden unterbrochen. Das Auftauchen von Charles und Mike wirkte wie ein fest verabredetes Zeichen, dass man die Arbeit einstellen konnte. Wichtigeres als Arbeit stand an: Abwechslung!

   Auch Parkers Kopf war am Fenster erschienen, aber nicht der von Jenna. Ein Blick aus den Augenwinkeln sagte Mike, dass die Kutsche nicht an ihrem Platz stand. Jenna war wohl unterwegs. Höchste Alarmstufe für alle herumtollenden Hundewelpen!

   Mike war zutiefst enttäuscht. Aber das kam nun mal davon, wenn man unangemeldet auftauchte!

   Mit einem geradezu lachhaften Automatismus füllte sich Perrets Saloon, während Mike sich Zeit ließ, die Waren im Laden des alten Alcott zu besorgen. Dass er dem Lehrjungen auftrug, die Sachen im Wagen zu verstauen, hatte nichts Ungewöhnliches: Viele Kunden mit Geld standen da, die Hände in den Hosentaschen vergraben, und sahen zu, wie andere arbeiteten.

   Doch irgendwann war auch das erledigt, und die Frage drängte in den Vordergrund, wie man die sich ausbreitende Zeit nun füllen konnte. In die drangvolle Enge des Saloons zog ihn nichts. Viel lieber würde er sich auf die Veranda setzen, die schon einmal schicksalsträchtig gewesen war. Vielleicht konnte man noch einem Welpen das Leben retten. Vielleicht kam Jenna!

   Doch ohne ein Glas Bier in der Hand versprach dieser Plan nur ein reduziertes Vergnügen. Also dann doch sich durch die Menge quälen bis zum Tresen, der Quelle des Labsals. Nagelproben mussten bestanden werden. Er war schließlich hier, um zu testen, wo er stand.

   Die Linke fest in der Hosentasche verstaut, betrat er den Saloon, tippte kurz grüßend an die Hutkrempe und bahnte sich einen Weg durch die Menge. Der Ruf seiner Heldentat eilte ihm voraus, und neugierige Blicke verfolgten ihn. Das Wissen um sein Handicap hatte ersichtlich noch nicht Einzug gehalten in Perrets verqualmten Wänden. Jenna hatte dieses Detail offensichtlich nicht unter die sensationslüsterne Menge geworfen.

   „Ein Bier“, orderte Mike.

  Perret stellte ein großes Glas vor ihn und holte schon Luft, um ein Gespräch anzufangen. Vielleicht machte der Kerl hier den Mund auf. Irgendwie musste man doch endlich einmal durchdringen zu den verborgenen Geheimnissen. Aber Mikes Blick war so deutlich abweisend, dass er abbrach, bevor er angefangen hatte.

   Fast wäre die Sache noch gut gegangen. Dass einer der Männer Mike anrempelte und dabei dessen Hand aus der Hosentasche rutschte, war unbeabsichtigt, kein böser Wille, purer Zufall.

   Aber es war nun einmal passiert, und nun baumelte der lahme Arm unkontrolliert an seinem Schultergelenk – ein nutzloses Stück Fleisch, das nur äußerlich noch einem Arm glich und unbarmherzig seine Schwäche an die Anwesenden verriet. Henry Bannister, zusammen mit Joe Parker am Tresen stehend, war der Erste, der aufmerksam wurde. Er trat zu ihm und tippte neugierig den gelähmten Arm an, der anfing zu pendeln wie ein lebloses Spielzeug. Erst schaute er verblüfft, dann begann er glucksend zu lachen.

   „Was’n das da? Isses das, wonach’s aussieht?“

   Mike schaute ihn durchdringend an. Die Stunde der Wahrheit war gekommen.

   „Interessant, nicht wahr?“

   „Ich könnt’ mich totlachen“, antwortete Bannister und schickte sich an, selbiges zu tun. Er konnte den Kerl, der ihm so deutlich seine Verachtung zeigte, nicht ausstehen. Seine Aversion gegen Mike wurde nur noch übertroffen von der von Joe Parker. Der stimmte pflichtschuldigst in Bannisters höhnisches Lachen ein.

   „Ein lahmer Arm!“ Bannister kugelte sich fast vor Vergnügen. „Jetzt bleibt dir deine Großkotzigkeit wohl im Hals stecken, Großmaul! Guckt ihn euch an, Leute! Hab‘ mir ‚nen tollen Helden anders vorgestellt. Nicht ganz so erbärmlich.“

   Mike übte sich in einer Runde Selbstbeherrschung. Er spürte, wie sich die Atmosphäre im Saloon veränderte. Die neue Entdeckung brachte als erste Reaktion ein grausiges Entsetzen mit sich. Doch das war nur das Anfangsstadium. Wie sich die allgemeine Stimmung weiterentwickeln, ob sie in Bannisters schadenfrohen Hohn münden würde, war die alles entscheidende Frage!

   „Hör zu, Bannister!“ Mikes Stimme war gefährlich leise, aber für jeden hörbar, weil plötzlich alle störenden Geräusche verstummt waren. Was jetzt kam, wollte jeder mitkriegen.

   „Dieser Arm hier hat den Frauen auf Eastbourne Castle das Leben gerettet. Und das war mit Abstand das Beste und Ehrenvollste, was er in seinem ganzen Leben getan hat. Wann hättest du mit deinen Affenarmen je was Sinnvolles getan! Außer Geld zählen können die doch nichts!“

   Aber Henry war nicht zu erschüttern. So viel Grund zur Heiterkeit gab es selten. Die ließ er sich nicht vermiesen, auch nicht durch noch so zutreffende Beschimpfungen. Er war auf der Siegerspur.

   „Den Frauen das Leben gerettet? Schön für dich! Hat sich Eastbournes schwarze Hexe denn auch richtig dankbar gezeigt?“

   In ihrer Zweideutigkeit schon wieder eindeutig begann seine Zunge ordinär zu spielen, ließ keinen Zweifel aufkommen, welche Dienste er meinte. „Die hat das drauf. Ben kann dir das bestätigen. Richtig, Ben?“

   Ben Perret lachte dümmlich-verlegen, riet dann aber doch: „Halt lieber den Mund, Henry!“

   Der Rat kam zu spät, und den Mund hielt Henry von selbst, denn im gleichen Moment krachte eine urgesunde rechte Faust in sein Gesicht, wischte sein höhnisches Grinsen weg und verwandelte es in eine schmerzhafte Grimasse.

   Mikes wutgeballte Faust, sauber platziert in seiner unteren Gesichtshälfte, hatte den Zigarren paffenden Schwätzer bodenlos gemacht und ihn durch die Luft geschickt, bis er dann mit Wucht auf einen Tisch krachte, der fortan seine Funktion aufgab, weil er sich in seine Einzelteile auflöste. Dort blieb er hilflos liegen.

   Seine geliebten Zigarren zu rauchen, würde in der nächsten Zeit einen recht fragwürdigen Genuss darstellen, dafür sorgte die tief aufgeplatzte Unterlippe, und der ausgespuckte Schneidezahn würde in Zukunft einen mächtigen Punkteabzug bedeuten, wenn es darum ging, die Attraktivität seiner männlichen Erscheinung zu bewerten. Mike griff nach seinem Bierglas und kippte Bannister den Inhalt kommentarlos über. Dann warf er ihm zum guten Schluss mit Schwung noch das Glas an den Kopf. Eine weitere dekorative Beule! Henrys Gesicht würde in der nächsten Zeit ebenso bunt wie unsymmetrisch aussehen.

   Dann machte Mike sich bereit, die Zeche zu zahlen. Er wusste genau, was nun kommen würde. Man schlug nicht ungestraft einen der angesehensten Bürger nieder, ohne dass das Konsequenzen hatte. Schon gar nicht in dessen eigener Hochburg.

   In dem unwillkürlichen Bedürfnis sich zu schützen, versuchte er den tauben Arm zu bewegen, doch der versagte ihm nach wie vor den Dienst. Nichts passierte. Nun gut! Dann eben nicht! Das Schlachtfest war nicht zu verhindern. Mit einer knappen Bewegung bugsierte Mike seine verletzte Hand wieder in die Hosentasche. Er war bereit.

   Joe Parker war der Erste, der einen drohenden Schritt auf ihn zumachte – das Fanal zum Beginn einer mächtigen Prügelei. Doch dann stutzte er: Niemand folgte ihm.

   Seine Entschlossenheit sackte angesichts dieser bedenklichen Entwicklung sofort in sich zusammen. Dieser unberechenbare Kerl, dessen Augen ihn in stummer Wut herausforderten, war mit einem Arm immer noch ein gefährlicher Gegner. Die Hand, lässig in der Hosentasche vergraben, schickte eine eindeutige Botschaft in die rauchgeschwängerte Luft: Für euch Flaschen brauche ich eh nur einen Arm!

   Parker schaute sich ungläubig um. Die Männer im Saloon rührten keine Hand, niemand übernahm die Initiative, diesen unverschämten Krüppel hier in seine Schranken zu weisen. Das gab’s doch nicht!

   Wieder wanderte sein Blick auffordernd umher auf der Suche nach schlagkräftigen Gleichgesinnten, doch die Gesichter der Männer blieben ausdruckslos. Man hielt sich gleichmütig am Glas fest und schenkte Henry lediglich einen mäßig interessierten Blick, um das Ausmaß seiner Beeinträchtigung abzuschätzen. Für den war wohl das beste Mittel, die Schmach der entstandenen Zahnlücke zu kaschieren, in Zukunft den Mund zu halten.

   Parker war fassungslos. Das hier waren doch Henrys Freunde! Oder nicht? Um seiner Vorwärtsbewegung noch einen Anflug von Sinn zu geben, ging er auf Bannister zu und versuchte ihm aufzuhelfen. Doch der war dermaßen lädiert, dass es noch der Hilfe von Ben Perret bedurfte, damit er wieder auf die Beine kam. Schwer auf seine beiden Samariter gestützt, humpelte Henry Bannister stöhnend aus dem Saloon.

   Ein angeregtes Schweigen hing in der Luft. Paul Perret trug schwer an der Entscheidung, die nun zu fällen war. Eigentlich müsste er Mike aus seinem Saloon werfen, allein schon aus Loyalität zu Bannister und Parker. Aber Achtung: Der Kerl war ein Freund von Eastbourne. Sich mit dem anzulegen, kam gar nicht in Frage! Und überhaupt: Wie sich die Männer benahmen, war irgendwie seltsam.

   Einerseits war er natürlich froh, dass es in seinem Saloon nicht zu einer größeren Schlägerei gekommen war. Der eine Tisch, der in die Brüche gegangen war, war zu verschmerzen, er hatte ohnehin schon gewackelt.

   Aber andererseits: Was hatte das zu bedeuten, dass die Männer Henry so einmütig hatten fallen lassen?

   Er kam einfach nicht auf die Idee, dass alle im Raum gründlich angewidert waren von diesem schandmäuligen Schwätzer, seinem charakterlosen Spott, wo es nichts zu verspotten gab. Dieser Ein-armige, der sie stolz und herausfordernd anblickte, hatte ihre gesammelte Hochachtung. Der hätte, chancenlos gegen eine solche Übermacht, locker eine schmerzhafte Niederlage in Kauf genommen, nicht aber einen Angriff auf seine Ehre oder die der Frauen auf Eastbourne Castle.

   „Hier steht noch’n Bier rum“, sagte John Alcott und hielt Mike sein eigenes frisch eingeschenktes Glas hin.

   Zögernd griff Mike zu. „Danke!“

   Dann spülte er mit einem mächtigen Zug den Frust runter.

   Zurück blieb die vage Ahnung eines Triumphs.

*

   Die Tür flog auf, und Jenna betrat den Saloon. Perret schaute indigniert. Der Einbruch von Weiblichkeit in seine geheiligte Männerwelt kam jedes Mal einem Sakrileg gleich.

   „Dein Vater ist gerade gegangen, und Ben ist auch nicht da.“ Die beiden einzig möglichen Erklärungen für ihr Hiersein wurden abgeschmettert. Das kam einem Rauswurf gleich.

   „Ich weiß“, antwortete Jenna. „Ich hab‘ sie gesehen, wie sie Henry nach Hause gebracht haben.“

   „Also, was, zum Teufel, suchst du hier?“

   Sie beachtete ihn gar nicht und setzte zielstrebig ihren Weg fort, bis sie vor Mike stand. Ihre blauen Augen leuchteten, die vollen Lippen waren halb geöffnet, suchten die richtigen Worte, um ihre Freude über seine Anwesenheit zu bekunden, die aber andererseits nicht zu überschwänglich sein durfte, weil alle Augenpaare im Raum neugierig auf sie gerichtet waren.

   „Ist alles in Ordnung mit dir?“ fragte sie leise.

   Mike lachte. Es war ein amüsiertes, gut gelauntes Lachen, das an alte Zeiten erinnerte, als noch keine Verbitterung ihm seine Fröhlichkeit gestohlen hatte. „Sicher! Wieso auch nicht? Bist du etwa gekommen, um mich zu beschützen?“

   „Hätte ich gerne getan. Aber du lässt mir ja keine Chance.“

   Das Gespräch wurde so leise geführt, dass niemand mithören konnte. Außer Perret, der mal wieder an der richtigen Stelle seinen Tresen putzte.

   Jenna war, zum Leidwesen ihres Vaters, noch nie ein Musterbeispiel weiblicher Schicklichkeit gewesen. Aber so unverfroren das geheiligte Männerterrain zu entweihen und vor diesem kühnen Fremden zu stehen, in einem Abstand, der fast nicht mehr wahrnehmbar war – das sprach eine Sprache, die jeder im Raum verstand. Paul Perret auch. Er schäumte vor Wut.

   „Raus jetzt aus meinem Saloon“, herrschte er seine Schwiegertochter in spe an – und spielte der Situation, die er verhindern wollte, sogar noch in die Hand.

   „Ich begleite dich nach Hause“, bot Mike an.

   Das wiederum passte Perret überhaupt nicht. Gerne wäre er hinterhergelaufen, um den gemeinsamen Weggang der beiden zu verhindern, aber er konnte unmöglich seinen Platz hinterm Tresen verlassen und seine trinkfreudige Kundschaft unbedient lassen.

   „Ben sollte sich mit seiner Heirat beeilen“, gluckste Alcott amüsiert. „Da ist mächtig Konkurrenz im Busch.“

   Die Zornesader an Perrets Stirn war sichtbarer Gradmesser einer ungeheuren Empörung.

   „So’n Quatsch. Aber wenn Joe seiner Tochter schon keine Manieren beibringen kann – in meinem Haus wird sie’s lernen. Verlass dich drauf“, drohte er und kämpfte so sehr mit seiner Erregung, dass er einen halben Krug Bier verschüttete.

*

   Jenna dachte nicht daran, sich nach Hause begleiten zu lassen. Sobald sie den Saloon verlassen hatte, zog sie Mike hinter sich her und verschwand mit ihm in Perrets Schuppen. Wieder standen sie sich einander gegenüber, und diesmal ließ sich der minimale Abstand zwischen ihnen mühelos überwinden. Der soeben eingefahrene Triumph machte ihn kühn, die Signale, die Jenna aussandte, auch.

   „Linke Hand in der Hosentasche“, murmelte Mike. „Die Standardhaltung für jeden Mann, der eine Frau küssen will.“

   Die intakte Rechte griff herzhaft zu. Wieder drängte Jenna sich an ihn. Der Beweis, dass die Leidenschaftlichkeit ihres Kusses auch auf neutralem, wenn nicht sogar feindlichem Terrain möglich war, wurde erbracht.

   Als sie die Augen wieder öffnete, fand er ein unruhiges Flackern in ihnen.

   „Mike, hol mich hier raus!“, bat sie. „Ich werde noch verrückt. Diese vier Wochen! Das waren die schlimmsten meines Lebens. Nicht nur, weil mir mein Vater das Leben zur Hölle gemacht hat. Ich hab‘ nicht gewusst, wie es weitergehen soll, du hast nichts mehr von dir hören lassen.“ Dann wurde sie vorsichtiger. „Warum bist du hier?“

   Ja, warum war er hier? Sollte er ihr sagen, dass er das selbst nicht wusste? Dass er diesen Besuch hier in Asheville unter der Rubrik „Experiment“ führte? Er wollte sich vorsichtig über Dinge klar werden, die für Jenna schon längst klar waren. Darin lag der Unterschied! Und darin lag auch ein beträchtliches Konfliktpotenzial!

   „Ich habe Charles begleitet“, sagte er unbeholfen. Aber als er sah, wie sich ihre Augen schreckhaft weiteten, fügte er wahrheitsgemäß hinzu: „Aber natürlich wollte ich dich auch wiedersehen.“

   „Wiedersehen!“, wiederholte sie enttäuscht. Das war weniger als sie erwartet hatte. Sie hatte keine Lust auf Halbheiten. Sie wollte Klarheit. Da half nur eins.

   „Sag mir, Mike, liebst du mich?“

   In ihrer Direktheit die Albtraumfrage an die Adresse aller unentschlossen Lavierenden. Mike war einer davon. Aber vielleicht war es besser, wenn man bei diesem wichtigen Gespräch diese gefährliche Stellung aufgab: nur eine Winzigkeit voneinander entfernt sein, den großen, blauen Augen, den vollen roten Lippen blickmäßig nicht ausweichen zu können! Wie sollte man den dringend benötigten Verstand einschalten, wenn die Hormone diese verführerischen Attribute nicht ignorieren konnten?

   Er setzte sich auf einen Strohballen, sie auffordernd, ein Gleiches zu tun. Es war derselbe, auf dem vor Wochen Jenna schon mit Charles gesessen hatte.

   „Jenna, wohin führt diese Frage?“, begann er hilflos.

   „Das wäre dann schon die zweite! Erst will ich eine Antwort auf meine erste“, antwortete sie. Er zuckte die Achseln.

   „Ich habe noch nie in meinem Leben für eine Frau so gefühlt. Ich krieg dich nicht mehr aus dem Kopf, will mit dir zusammen sein, dich spüren – Ist das eine Definition von Liebe, mit der eine Frau was anfangen kann?“

   Jenna lachte. „Kann man durchgehen lassen! Kommt der Sache sehr nahe. Womit wir bei der zweiten Frage wären. Was fangen wir an mit unserer Liebe? Was ist die logische Konsequenz?“

   Das Gespräch bekam Züge eines Examens. Problemstellungen wie in einer Prüfung, bei der der Lehrer Fragen stellte, deren Antwort er schon wusste, wo lediglich überprüft wurde, ob der Schüler sie auch kannte. Bei der der Lehrer den Verlauf des Gesprächs bestimmte und den Schüler allmählich zu den richtigen Schlüssen brachte. Mike zog die Notbremse.

   „Hast du genügend Fantasie, um dir auszumalen, wie ich bei deinem Vater um deine Hand anhalte? Wird ihn der Schlag treffen oder wird er mich erschießen?“

   „Ich tippe auf erschießen“, antwortete Jenna. „Aber im Ernst, Mike, es ist doch nicht entscheidend, was mein Vater will. Glaub mir, ich kann genauso mutig sein wie Charles oder Miriam. Ich kann mich auch über alles hinwegsetzen und nur meinen Gefühlen folgen.“ Doch Mike schüttelte den Kopf.

   „Die Fälle kannst du nicht vergleichen. Charles hat Miriam zu sich hochgeholt. Der Mann hat die Frau erhöht. Das ist in Ordnung. Aber bei uns... Du bist die Tochter eines angesehenen Anwalts. Und ich? Ich bin der Vormann von – tja, ich weiß gar nicht, wie ich Richards Stellung zu Charles beschreiben soll. Auf jeden Fall aber ein unbrauchbar gewordener Vormann.“

   Jenna schaute ihn enttäuscht an. Ging das schon wieder los mit seinen Minderwertigkeitsgefühlen? Doch Mike war noch nicht fertig.

   „Du weißt auch, dass ich nicht auf Dauer auf Eastbourne Castle bleiben werde. Ich kann mich nicht bis an mein Lebensende wie eine Made im Speck auf dem Schloss durchfüttern lassen. Jedes Mal, wenn sie mich ansehen, werden sie daran erinnert, dass sie mir was schuldig sind. Oder sie meinen es zumindest zu sein. Das hält doch keiner aus.“

   „So ein Betrieb im Schloss hat doch viele verschiedene Beschäftigungen. Irgendwas wird doch auch für dich dabei sein.“

   Er zuckte die Achseln. „Vielleicht. Aber ich müsste tief unter mich greifen, mich mit wenig zufriedengeben. Das wird mir vielleicht leichter fallen, wenn ich woanders neu anfange. Aber wo ich anfange, und wie ich anfange – da hab‘ ich noch gar keine Idee. Wie soll ich da einer Frau Sicherheit und Annehmlichkeiten versprechen! Und wenn dann auch noch Kinder kommen...“

   Jennas Enttäuschung war einem Entsetzen gewichen. Das Gespräch war in Treibsand abgeglitten, wo sie ihm argumentativ nicht mehr hin folgen konnte. Da fand sie einen intakten Stolz vor, den sie ihm nicht zum Vorwurf machen konnte. Da war eine realistische Einschätzung, an der nicht zu rütteln war. Sie brachte nur ihre Gefühle und Sehnsüchte ein, keine wirklichen Lösungen. Von seinem Standpunkt aus hatte er völlig recht, und das brachte sie fast um den Verstand.

   „Und was hatte der Kuss zu bedeuten?“, fragte sie mit dem heroischen Versuch, das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken.

   „Jenna, ich bin verrückt nach dir“, sagte Mike nun heiser. „Da tut man Dinge, die laufen an dem Verstand vorbei. Aber gut und richtig war es sicher nicht.“

   „Du willst dich jetzt nicht im Ernst dafür entschuldigen, dass du mich geküsst hast?“ Ihre Stimme war tonlos geworden. Alles fiel in sich zusammen, alle Sehnsüchte und Hoffnungen zerplatzten wie eine Seifenblase. Er wollte ihr keine ungewisse Zukunft zumuten, und seinen Stolz hinunterschlucken und auf Eastbourne Castle bleiben, nur damit seine Frau in Sicherheit leben konnte, würde ihn auf die Dauer zerreißen.

   Der Fall war aussichtslos.

*

   Außerhalb der Scheune gab es auch noch ein Leben, und da ging es lautstark zu. Schimpfend und streitend näherten sich Stimmen, die beiden bestens bekannt waren.

   „Herrje, Joe, du wirst niemanden erschießen!“

   „Und ob ich das werde! Hätt‘ ich vor Wochen schon machen sollen!“

   „Jetzt gib mir schon den Schießprügel her. So wie du damit herumfuchtelst, passiert wirklich noch was.“

   „Ich denk’ gar nicht daran. Ich bring den Kerl um!“

   „Joe! Du zwingst mich Dinge zu tun, die ich gar nicht tun will.“

   Ein kurzes Handgemenge, dann ein Wutschrei.

   „Eastbourne! Gib mir sofort die Flinte wieder!“

   Das war der Moment, in dem die Tür zur Scheune aufflog. Mike und Jenna sprangen auf. Er wollte sich schützend vor sie stellen, doch das duldete sie nicht. Selbstbewusst trat sie an seine Seite.

   Joe Parker versuchte immer noch, an sein Gewehr heranzukommen, das Charles mit großer Gelassenheit auf Armeslänge von ihm weghielt. Die Szene entbehrte nicht einer gewissen Komik, wie die halbe Parker-Portion sich mit dem hochgewachsenen, athletischen Gegner anlegte. Die Maus gegen den Bären!

   „Mit einem Gewehr in der Hand hat es noch nie vernünftige Gespräche gegeben“, sagte Charles weise.

   „Ich will kein Gespräch – ich will den Kerl umbringen. Der hat meiner Tochter doch nichts als Flausen in den Kopf gesetzt.“

   „Nun mach mal halblang, Joe. Solange ich Jenna kenne, hat die immer schon gewusst, was sie wollte.“

   „Das wollen wir doch mal sehen“, giftete der Alte. „Jenna, du wirst jetzt sofort hierherkommen. Und dann gehst du rüber zu Perret und entschuldigst dich!“

   Jenna hatte die Farbe gewechselt. Sie hatte keine Ahnung, wo sie stand. Da war ihr Vater, außer sich vor Wut, da war der Mann, den sie liebte, unfähig, sich für sie zu entscheiden – und Charles, der zwar kurzfristig verhindern konnte, dass ihr Vater Mike erschoss, aber nicht entscheidend zur Lösung ihres Problems beitragen konnte.

   „Wofür soll ich mich entschuldigen?“, fragte sie dennoch mit einem Anflug von Trotz.

   „Egal. Perret ist stinksauer. Das machst du wieder gut! Verstanden?“

   Jenna sah hilflos zu Mike hinüber. Was der verstand, war, dass das Leben, was Jenna sich anschickte zu leben, die Hölle sein würde. Doch wo, zum Teufel, waren die Lösungen? Wo war der Ausgang aus dieser verfluchten Sackgasse? Jenna machte keine Anstalten, dem Befehl ihres Vaters zu folgen.

    Doch wie sollte es weitergehen?

   „Hat er dir schon einen Antrag gemacht?“, fragte Parker wütend.

   Jenna schwieg. Auch eine Antwort! Eine, die den Alten genauso auf die Palme brachte, wie wenn sie gegenteilig ausgefallen wäre. Es war wunderbar, dass man in jedem Fall einen Grund hatte, aus der Haut zu fahren.

   „Siehst du?“, tobte er, Beifall heischend und Charles’ Zustimmung fordernd für solch eine Ungeheuerlichkeit. „Siehst du, was das für ein gewissenloser Lump ist? Verdreht dem Mädchen den Kopf und meint es nicht ernst. Gib mir die Flinte! Ich werde diesem hergelaufenen Habenichts ein Loch in den nichtsnutzigen Kopf schießen.“

   Das Gespräch hatte ein bedenkliches Stadium angenommen, weniger wegen der geladenen Flinte, die sich immer noch an Charles’ ausgestrecktem Arm und damit sicher außerhalb von Parkers Reichweite befand, als vielmehr, weil die Argumente Joe Parker in Ansätzen Recht gaben.

   Charles spürte, dass jetzt nur noch eine Sprache helfen konnte. Eine Sprache, die auch Joe Parker verstand.

   „Also, das mit dem hergelaufenen Habenichts, das kannst du so nicht stehen lassen, Joe. Du stehst schließlich vor dem zukünftigen Verkaufsleiter meiner Tuchfabrik“, sagte er mit der gebotenen Erhabenheit im Ausdruck und weidete sich an Parkers heruntergeklappter Kinnlade.

   Doch die von Mike stand der des Alten nicht viel nach. Jenna warf ihm einen forschenden Blick zu. War sein Gerede von einer ungewissen Zukunft nur ein Vorwand gewesen, sich nicht festlegen zu müssen? Doch Mikes Erstaunen war so echt, dass sie den bösen Verdacht gleich wieder verwarf. Charles setzte noch eins drauf.

   „Der Kerl kann mit Zahlen umgehen wie kein Zweiter.“ Der Vermutung ein Mäntelchen umzuhängen, das wie unumstößliche Sicherheit klang, kostete ihn keine Überwindung. Vielleicht lag es an der Asheviller Luft, dass Angeberei und Übertreibungen hier üppiger gediehen als anderswo. Diesbezügliche Erfahrungen aus einer fatalen Vergangenheit wurden wieder hervorgekramt – diesmal zu einem guten Zweck. „Der wird sich eine goldene Nase verdienen und im Geld schwimmen.“

   Joe Parkers wortgewaltiger Wutausbruch fiel auch prompt in sich zusammen. Seine Bemühungen, an sein Gewehr zu kommen, verloren an Energie.

   „Er leitet den Verkauf? Von deiner Weberei?“

   Charles nickte nachdrücklich. „Ich kann mich schließlich nicht um alles kümmern. Ich muss ja auch noch meinen Nachwuchs großziehen.“

   Zum ersten Mal schwieg der Alte. Jetzt wäre es im Prinzip an der Zeit gewesen, dass Mike endlich einmal den Mund aufgemacht hätte, um für Klarheit zu sorgen, was er eigentlich wollte. Charles hatte eine stabile Brücke gebaut. Drüber gehen musste er schon selbst. Jennas Blick wurde angstvoll. Wenn jetzt die erlösenden Worte nicht fielen, dann war alles verloren.

   „Mike, bitte! Muss ich wirklich rübergehen und mein jade-grünes Kleid anziehen?“ In ihre Augen war ein undefinierbarer Ausdruck getreten – solche Extreme wie Trotz und Flehen vereinend.

   Seine Züge wurden weich, verloren ihr verbissenes Angespanntsein. Er spürte die Bedeutung des Augenblicks. Die erstaunliche Wendung, die Charles da aus dem Hut gezaubert hatte, schuf eine völlig neue Situation.

   Doch musste das alles nicht noch einmal gründlich durchdacht werden? Das hier lief doch darauf hinaus, dass man eine lebenslange Verbindung einging mit einem dieser wetterwendischen Wesen, die kein Mann verstand. Da war doch Vorsicht angesagt! Nein, höchste Alarmstufe! Oder nicht?

   Plötzlich schämte er sich seiner unmännlichen Verzagtheit.

   Die linke Hand lässig in der Hosentasche vergraben – das war sicher nicht die Standardhaltung eines Mannes, der um die Hand der Tochter anhielt. Aber Mikes Frage entsprach auch nicht den Standardformulierungen eines Heiratskandidaten.

   „Mr. Parker, ich werde Ihre Tochter heiraten“, sagte er, und es klang fast wie eine Drohung. „Geben Sie dazu Ihren Segen oder nicht?“

   Tu es oder lass es! sagte sein Blick. Mir egal!

   Dem Alten blieb die Spucke weg angesichts der mäßig ergiebigen Alternative, die ihm blieb. Sein Magengeschwür meldete sich zur Stelle bei dem Gedanken, dass dieser unverschämte Halunke sein Schwiegersohn werden sollte! Aber immerhin ein vertriebsleitender Halunke mit einer prognostizierten goldenen Nase und – wie war das noch? – im Geld schwimmend!

   Joe Parker kapitulierte vor der Größe der Herausforderung, hier eine angemessene Entscheidung zu treffen. Eine ganze Weile kämpfte er vergeblich um die richtigen Worte. Dann waren sie da: Worte der Weisheit, wie sie alle Unentschlossenen so trefflich zu formulieren wissen:

   „Ach, geht doch alle zum Teufel!“, zürnte er. „Macht doch, was ihr wollt!“ Dann drehte er sich wütend um und stapfte aus der Scheune.

   „Eindeutige Zustimmung, wenn ihr mich fragt“, schmunzelte Charles. Dann war er der Erste, der die beiden umarmte.

*

   „Pack ein paar Sachen zusammen, nur das Nötigste“, riet Charles. „Wir nehmen dich mit ins Schloss. Wir sollten sehen, dass wir hier wegkommen.“

   Jenna nickte. Sie war schon auf halbem Weg aus der Scheune, als sie sich nochmals umdrehte, zu Charles zurücklief und ihn stürmisch umarmte. „Danke!“, sagte sie ihm leise ins Ohr. Dann verließ sie die Scheune.

   „Ich werde dir auf die Finger sehen müssen, Edelmann“, sagte Mike, als sie allein waren. „Du hast so eine Tendenz, mir die Frauen auszuspannen!“

   „Damit muss man halt leben, wenn man unwiderstehlich ist“, schmunzelte Charles mit aufgesetzter Selbstgefälligkeit. Er hätte jubeln können vor Glück.

   Mike zögerte. „Hast du das ernst gemeint mit der Verkaufsleitung?“

   „Hör zu, Mike. Mir war noch nie etwas so ernst wie das da.“

   „Aber du hättest ja mal vorher ein Wort sagen können.“

   „Na, sei mal ehrlich, bis vor ein paar Tagen hättest du mir diesen Vorschlag doch um die Ohren gehauen. Oder?“

   Mike nickte. „Wahrscheinlich. Trotzdem: Ich hab‘ so was noch nie gemacht.“

   „Das trifft sich gut. Ich war auch noch nie Besitzer einer Weberei.“

   „Das wird was werden!“

   „Ich werd’ dir sagen, was das wird: Abenteuer pur! Bist du mit von der Partie?“

   Endlich! Da war es wieder, das lausbubenhafte Lachen in den Augen, sichtbarer Beweis für nicht zu bremsenden Unternehmungsgeist. Mike hielt ihm die Hand hin.

   „Worauf du dich verlassen kannst, mein Freund!“