LESEPROBE

 

 

 

 

    Er hatte Zeit. Alle Zeit der Welt.

    Nicholas Falcone schlenderte die breite Straße entlang, die vom Tiber kam und geradewegs zum Petersdom führte. Er hatte sein Jackett über die Schulter geworfen, dafür war es ohnehin zu heiß. Es reichte, wenn er es rechtzeitig für die Audienz bei Seiner Eminenz Kardinal Spinola wieder anlegte.

    Er genoss den Spaziergang, genoss den Trubel, der ihn nicht betraf. Es war schon fast ein ganzes Jahr her, seit er das letzte Mal in Rom war. Da, wo er herkam, ging es deutlich ruhiger zu.

Die Straßen quollen über von Touristen. Rom im Sommer war schon eine Plage. Mehr Fremde als Einheimische, mehr Eisverkäufer und mehr Taschendiebe, ein babylonisches Durcheinander von Sprachen, skandiert von dem, was die italienischen Autofahrer am besten beherrschten: die Hupe. Wenn sonst an ihrem fahrbaren Untersatz nichts mehr funktionierte – die Hupe war das letzte, was den Geist aufgab.

    Die Massen drängten sich an ihm vorbei, jeder beschäftigt mit seinem eigenen Anliegen.

    Und trotzdem: Er registrierte aus den Augenwinkeln sehr wohl, dass sich etliche Augenpaare auf ihn hefteten, in der Regel weibliche. So eilig konnte man es gar nicht haben, dass man achtlos an ihm vorbeiging. Nicholas Falcone gehörte zweifelsfrei zu der Kategorie von Menschen, die eine ungeheure Präsenz besaßen.

    Sein Äußeres hatte einiges aufzubieten: Das männlich-markante Antlitz war völlig ebenmäßig. Ein modischer Haarschnitt, Hemd und Hose offenbar maßgeschneidert – der Mann sah aus wie ein Model aus einem Modejournal. Er war groß und breitschultrig, schmal in den Hüften und verströmte den Eindruck elementarer Körperkraft. Der federnde Gang unterstrich die Aura des Athleten, der sich seiner Stärke bewusst ist. Was die Blicke der Frauen jedoch auch anzog, war der Priesterkragen, der ihn bei aller verführerischen Attraktivität doch in die Sphäre zölibatärer Unerreichbarkeit verwies.

    Nun war der Priesterkragen weiß Gott nichts Außergewöhnliches in diesen Straßen, die alle irgendwie zum Petersdom führten und damit ins Herz der katholischen Kirche. Hier wimmelte es von Soutanen und schwarzen Hüten, mitunter war auch schon mal eine rote Schärpe darunter. Dann hatte man es mit einem zu tun, der sich auf der klerikalen Karriereleiter schon ein Stück nach oben gearbeitet hat.

    ‚Schwarze Mistkäfer‘ nannte sie ein respektloser Pöbel schon mal.

    Nicholas durfte für sich in Anspruch nehmen, dass ihm diese wenig schmeichelhafte Titulierung erspart blieb. Ein Mistkäfer war das Letzte, womit man ihn assoziiert hätte. Man blickte mit unverhohlener Aufmerksamkeit zu ihm hin. Er war ein verdammt gutaussehendes Exemplar seiner Spezies.

    Nicholas Falcone kannte diese Blicke, und er ignorierte sie.

    Er genoss den entspannten Spaziergang und nahm sogar in Kauf, dass er sich verspäten könnte. Das verursachte keine Stresssymptome. Selbst wenn ein ausgewachsener Kardinal auf ihn wartete – er war wichtig genug, dass er keine Standpauke fürchten musste.

    Er überquerte bei St-Anna die Linie, die, deutlich gezogen, die Grenze markierte zwischen Italien und Vatikanstadt. Irgendwie, so schien es ihm, veränderte sich auch die Luft, die er ab jetzt einatmete. Es roch nach devoter Frömmelei und geheimniskrämerischem Getuschel. Ausgelassene Fröhlichkeit und Heiterkeit schienen hier ausgeschlossen. Als ob man das Bewusstsein seiner Sünden wie einen Schild vor sich hertrug.     Ein Schild, der einen erdrückte.

    Ein Mitglied der Schweizergarde bewachte den Seiteneingang, der zu den Büroräumen der Kurienmitarbeiter führte.

    „Seine Eminenz, Kardinal Spinola erwartet mich.“ Der Ton war angemessen selbstbewusst. Der Schweizergardist diskutierte nicht und ließ ihn passieren.

    Nicholas Falcone betrat zunächst einen Waschraum, zog das Jackett an und überprüfte sein Äußeres. Alles in Ordnung. Neugier stellte sich ein. Er hatte keine Ahnung, was Kardinal Spinola von ihm wollte. Er war nun einmal der Mann für besondere Aufgaben, und da war alles möglich.

    Pater Eckehard, Spinolas Sekretär, wartete schon. „Seine Eminenz ist schon ungeduldig“, sagte er nervös. Als ob er die Verspätung ausbaden müsste! Nicholas fand, dass das Herren-Untergebenen-Verhältnis unter den heiligen Männern kein bisschen anders funktionierte als im profanen Alltag. Fußabtreter zu sein war ein universeller Job.

    „Dann wollen wir ihn nicht länger warten lassen“, sagte Nicholas jovial und öffnete die schwere Eichenholztür mit den kostbaren Intarsien.

    Hinter einem riesigen Schreibtisch im LouisXVI-Stil saß ein Männchen, das drei Nummern zu klein war für dieses Möbel. Fast kahlköpfig, mit tiefliegenden Augen, der Hals schrumpelig wie der einer Schildkröte, die Hände knochig: Seine Eminenz Kardinal Spinola, genannt ‚der Strippenzieher‘. Ein recht ambivalenter Spitzname: von seinen wenigen Fans durchaus bewundernd gemeint. Doch die meisten fürchteten seine subtile Art, Netze zu spinnen, in denen man sich unweigerlich verfing. Am besten war es, man hielt sich gut mit ihm – schließlich gehörte er zu den wirklich einflussreichen Kurienkardinälen im direkten Dunstkreis des Papstes.

    Falcone grüßte knapp. „Eure Eminenz?“

    Die beiden ungleichen Männer musterten sich gegenseitig. Abneigung lag in der Luft.

    Mit deinen kalten Echsenaugen kannst du vielleicht den Brieföffner einschüchtern, alter Mann, aber nicht mich.

    Du galoppierst auf deinem hohen Ross arrogant durchs Leben. Aber du wirst tief fallen und auf geradem Weg in der Hölle landen.

    Der alte Kardinal wies mit einer knappen Handbewegung auf einen Stuhl.

    „Setzen Sie sich, Pater Falcone!“

    Es wäre genauso gut möglich gewesen, wenn sich beide Männer in der kleinen Sitzgruppe am Fenster niedergelassen hätten. Da hätte man auf Augenhöhe miteinander reden können. Aber dieser Eindruck sollte erst gar nicht aufkommen.

    Falcone angelte sich einen Stuhl und platzierte sich vor dem Schreibtisch.

    Er wartete, ohne Ungeduld zu zeigen. Schweigen kann Bedrückung heraufbeschwören und den anderen verunsichern. Nicholas kannte diese Machtspielchen und fiel nicht darauf rein. Er tat dem Kardinal nicht den Gefallen, in dieser Atmosphäre unbehaglichen Schweigens Nervosität zu zeigen. Ruhig blickte er in Spinolas fischkalte Augen. Der bequemte sich schließlich zu sprechen.

    „Ich habe Sie hierherbestellt, um Sie mit einem wichtigen Auftrag zu betrauen. Und wenn ich ‚wichtig‘ sage, dann trifft das wohl nicht ganz den Punkt. Es ist eine Angelegenheit, die die Kirche im Mark treffen würde. Die Erschütterung, die es auslösen könnte, wenn Sie versagen, ist nicht auszumalen.“

    Selbst auf die Gefahr hin, dass der alte Kardinal maßlos übertrieb – Nicholas‘ Neugier war geweckt. Das alles war angemessen dramatisch. Aber er schwieg noch immer. Jetzt war es Spinola, den das Schweigen nervös machte.

    „Es sind Dokumente aufgetaucht, die dem Vatikan enorm schaden könnten.“ Er schwieg wieder, schien nach dem richtigen Einstieg zu suchen. Dass Falcone so gar keine Hilfestellung in diesem Gespräch gab, nicht nachfragte, keine Reaktion zeigte, war verwirrend.

    „Sie sind ein halber Amerikaner. Ist das richtig?“ Die Frage zwang Falcone, endlich in das Gespräch einzusteigen.

    „Das ist richtig. Mein Vater ist Italiener, meine Mutter war Amerikanerin. Aufgewachsen bin ich in Boston.“

    „Sehr schön. Boston. Dann wird es Sie freuen, dass mein Auftrag Sie genau dorthin führen wird. Sie können einen Ausflug in Ihre Jugendzeit damit verbinden.“

    „Ohne jedoch aus dem Auge zu verlieren, dass, wenn ich den Auftrag nicht erfolgreich zu Ende bringe, die Kirche so zu Fall gebracht wird, dass kein Stein auf dem andern bleibt?“

    Der alte Kardinal kommentierte die feine Ironie mit einem giftigen Blick.

   „Das ist kein Fall, um Witze zu machen. Sie sollten die Sache ernst nehmen.“

    „Das werde ich, wenn Sie mir sagen, worum es geht.“

    Spinola lehnte sich zurück. Aber die Anspannung blieb erkennbar bestehen.

    „Die besagten Dokumente befanden sich im Besitz eines Anwalts. Dr. Robert Lorenz war Partner in einer der renommiertesten Kanzleien in Boston. Richmond, Seifart & Partner. Seit zehn Jahren ist er im Ruhestand. Ein gläubiger und loyaler Sohn unserer Kirche.“

    „Befanden sich im Besitz? Vergangenheitsform?“

    „Lorenz ist tot. Vor zwei Wochen verstorben. Herzinfarkt.“

    Nicholas Falcones graue Zellen funktionierten einwandfrei. Er nahm umgehend die Spur auf, die der Kardinal gelegt hatte.

    „Und jetzt besteht die Gefahr, dass die besagten Dokumente einem Nachlassverwalter in die Hände fallen könnten. Einem Nachlassverwalter, der vielleicht nicht so gläubig und loyal ist. Ist es so?“

    Spinola nickte. „Sie haben das Problem sauber auf den Punkt gebracht.“

    „Worum geht es in diesen Dokumenten?“

    „Das ist nebensächlich“, sagte Spinola und trommelte nervös einen unrhythmischen Takt. Jetzt war Falcone mehr als verblüfft.

    „Ich soll etwas finden, von dem ich nicht einmal weiß, was es ist? Wie soll denn das gehen?“

    „Na, so viele Dokumente mit Bezug auf den Vatikan wird es ja wohl nicht geben.“

    „Mit Verlaub, Eminenz, das kann nicht funktionieren. Auf der einen Seite malen Sie die Folgen eines Fehlschlags in den schwärzesten Farben, und auf der anderen Seite verweigern sie mir die notwendigen Informationen, ohne die ich nicht das Geringste erreichen kann. Sie werden mir schon mehr sagen müssen, wenn ich Erfolg haben soll.“

    An dem Argument gab es nichts zu rütteln. Das sah Spinola widerwillig ein.

    „Es geht um Umstände, die mit dem Tod von Albino Luciani zu tun haben“, sagte er nach einer kurzen Pause. Jetzt war Falcone hellwach.

    „Der Tod von Johannes Paul I.? Dem Papst, dessen Pontifikat nur 33 Tage gedauert hat?“

    Wieder nickte der Kardinal. „Wie Sie vielleicht wissen, sind die Gerüchte nie ganz verstummt, dass der Papst damals keines natürlichen Todes gestorben ist. Völlig haltlose Gerüchte, versteht sich.“

    „Versteht sich“, echote Falcone.

    „Ich habe keine Ahnung, was die Papiere hergeben. Vielleicht stellt sich heraus, dass alles nur kompletter Blödsinn ist, wovon ich fest ausgehe. Aber ich muss Sicherheit haben.“

    „Woher wissen Sie von den Dokumenten?“

    „Das braucht Sie nicht zu interessieren. Das dürfte für Ihren Auftrag keine Rolle spielen.“

    Nicholas Falcone liebte die berühmt-berüchtigte Geheimniskrämerei, für die der Vatikan bekannt war. Aber er insistierte nicht. Für die Beschaffung der Papiere würde es wahrscheinlich wirklich nicht wichtig sein.

    „Was ich nicht verstehe, wieso ist der Fall jetzt ein Thema? Wenn ich mich recht erinnere, ist Johannes Paul I. in den 70er Jahren verstorben.“

    „Um genau zu sein: am 28. September 1978“, präzisierte der Kardinal.

    „Eben. Das ist fast ein halbes Jahrhundert. Da ist doch mittlerweile so viel Gras drüber gewachsen, dass das heute niemand mehr interessiert. Jede Wette, dass die heutige Generation von dieser Sache gar keine Kenntnis mehr hat. Lohnt sich der Aufwand?“

    Die Augen Seiner Eminenz verengten sich zu Schlitzen.

    „Pater Falcone, ich habe Sie nicht hierherbestellt, um mit Ihnen das Für und Wider zu diskutieren. Ich habe Ihnen einen Auftrag erteilt. Diese Kleinigkeit wollte ich Ihnen nochmals ins Gedächtnis rufen. Ist das angekommen?“

    Keine Rede davon, ob Nicholas bereit wäre, den Auftrag zu übernehmen oder nicht. Ein ‚Nein‘ war im Wortschatz des Vatikan nicht vorgesehen.

    „Natürlich. Ich frag‘ mich eben nur: Könnten die Papiere Beweise enthalten, dass es sich doch um einen unnatürlichen Tod gehandelt hat? Denn nur das könnte sie wirklich gefährlich machen.“

    „So ein Unsinn“, zürnte der alte Kardinal, sichtlich angefressen, dass Falcone die Möglichkeit, und sei sie noch so theoretisch, überhaupt in Betracht zog. „Natürlich ist Luciani eines natürlichen Todes gestorben. Im Vatikan laufen doch keine Mörder herum.“

    „Warum also dann die Aufregung?“

    „Weil es ungut wäre, wenn die Geschichte wieder hochkochen würde. Die Kirche macht heute eine schwere Zeit durch. Diese ewigen Diskussionen über diese Missbrauchsfälle! Den Zölibat will man auf den Prüfstand stellen. Die Laien wollen bei allem mitreden, wollen der Kurie Vorschriften machen. Wir sind bald nicht mehr Herr in unserem eigenen Haus. Und dann noch – die Krönung der Unverschämtheit – wollen jetzt sogar die Frauen ins Priesteramt drängen.“ Er lachte ein freudloses Lachen voller Verachtung. „Es gibt genug verwirrte Geister, die nur darauf warten, etwas zu finden, was sie der Kirche anhängen können. Wir müssen sie schützen, unsere Mutter Kirche. Haben Sie das verstanden, Pater? Wir müssen sie vor einem großen Schaden bewahren. Ist Ihnen jetzt klar, was Sie für eine Verantwortung tragen? Sie müssen diese Papiere finden. Um jeden Preis!“

    Nicholas schwieg. Spinola hatte sich in Rage geredet. Es war klar, dass das Thema den alten Kardinal im höchsten Maße erregte. Beeindruckend, wie sehr ihm das Schicksal der Kirche am Herzen lag. Oder war da mehr?

    „Wenn es mir tatsächlich gelänge, der Dokumente habhaft zu werden“, begann Falcone nach einer längeren Pause, „wenn ich sie sichten würde…“

    „Gar nichts werden Sie“, fuhr der Kardinal dazwischen. „Es liegt doch nicht in Ihrem Ermessen zu entscheiden, was wichtig ist und was nicht. Im Übrigen hat man mir zur Kenntnis gebracht, dass die Papiere sich in einem versiegelten Umschlag befinden. Dieser Umschlag ist so, wie er ist: ungeöffnet an mich zu übergeben. Haben Sie verstanden? Ungeöffnet!“

    „Verstanden“, nickte Falcone. Das entsprach jedoch nicht ganz der Wahrheit. Was er allerdings sehr wohl verstand, war, dass hier etwas faul war. Oberfaul.

    „Ich sage das in der nötigen Deutlichkeit, weil ich Ihre Neigung kenne, sich über Vorschriften hinwegzusetzen.“

    „Dann frage ich mich allerdings, warum Sie gerade mich für solch eine delikate Mission ausgesucht haben, wenn Sie nur ein begrenztes Vertrauen in mich haben.“

    Spinolas eiskalte Augen musterten sein Gegenüber mit gnadenloser Gründlichkeit.

    „Ihre Erfolgsquote ist beeindruckend. Das kann ich nicht ignorieren.“

    Das hörte sich fast nach einem Kompliment an. Doch Nicholas spürte, dass noch etwas in der Luft lag. Und richtig.

    „Außerdem setze ich auf Ihr gewinnendes Wesen.“

    Das verstand Nicholas nun wirklich nicht. „Gewinnendes Wesen? Was meinen Sie damit?“

    Der alte Kardinal setzte sein Pokerface auf. „Ich habe Ihnen noch nicht gesagt, dass der Nachlassverwalter eine Frau ist. Lorenz‘ Enkeltochter. Sie arbeitet an der Universität in Bosten als Assistentin von irgendeinem Professor. Das werden Sie doch wohl hinkriegen.“

    „Was hinkriegen?“

    „Stellen Sie sich doch nicht dumm. Nähern Sie sich ihr. Gewinnen Sie ihr Vertrauen!“

    „Um sie dann zu bestehlen!“

    Spinola verdrehte genervt die Augen.

    „Spielen Sie hier nicht den Moralapostel. Es geht um mehr. Es geht um alles. Alles ist erlaubt.“

    „Alles?“

    „Alles“, bestätigte der Kardinal. „Diese Enkelin, sie ist doch nur eine Frau.“

    Also etwas Minderwertiges! Nicholas spürte, wie die Wut in ihm hochkochte. Was ihm Spinola hier durch die Blume mitteilte, hörte sich ganz danach an, dass er Falcone und seinem gewinnenden Wesen sogar ein amouröses Abenteuer zugestand. Anschließend einen Diebstahl. Was sonst noch? Was inkludierte der Begriff ‚alles‘? Eines schien sicher: Um die Folgen für sein Seelenheil brauchte er sich wohl keine Sorgen zu machen. Mit leichter Hand würde Spinola ihm anschließend die Absolution erteilen. Ego te absolvo! Wenn der Grad seiner Abneigung noch steigerbar gewesen wäre – jetzt wäre der Moment gekommen. Nie hätte Nicholas Falcone damit gerechnet, hier im Zentrum der moralischen Autorität der Christenheit solch ein Gespräch führen zu müssen. Er hatte das Gefühl, als ob er ganz schnell diesen Raum hier verlassen sollte, bevor er erstickte.

    Spinola trommelte wieder ungeduldig mit den Fingern.

    „Ihr Flug nach Boston geht in vier Stunden. Ich habe mit Ihrem Vorgesetzten bereits gesprochen. Monsignore Baconi wird Sie auf unbestimmte Zeit von Ihren derzeitigen Pflichten entbinden.“

    „Das ist jetzt ein recht knapper Zeitplan.“

    „Arrangieren Sie sich. Und noch etwas: Alle Informationen und Ergebnisse Ihrer Mission gehen ausschließlich an mich. Und selbstverständlich zu niemandem ein Wort. Sie unterliegt der strengsten Geheimhaltung. Ist das klar?“

    Falcone nickte und erhob sich. Das Gespräch war offensichtlich zu Ende.

    „Enttäuschen Sie mich nicht, Pater. Das Wohl der Mutter Kirche steht auf dem Spiel.“

    Ein knapper Gruß. „Eure Eminenz?“

    Als Nicholas Falcone den Raum verließ, hatte er das ungute Gefühl, dass mehr auf dem Spiel stand als das Wohl der Mutter Kirche. Und wenn Spinola, aus welchen Gründen auch immer, von ihm enttäuscht wäre – damit könnte er leben.

*

    Vier Stunden waren knapp, aber ausreichend. Es kam ihm zugute, dass er seinen Koffer noch gar nicht ausgepackt hatte, so dass er ihn nur zu greifen brauchte, und außerdem lag sein Quartier auf dem Weg zum Flughafen. Das gab ihm die Zeit, noch eine wichtige Angelegenheit zu erledigen. Er griff zu seinem Handy.

    „Pater Nicholas, was für eine Freude, Sie zu hören!“

    „Ich freue mich auch, Don Luigi. Wie geht es Seiner Eminenz?“

    Die Stimme seines Gesprächspartners verlor ihre freudige Erregung.

    „Ach, er kämpft mit dem Alter, und das Herz macht ihm zu schaffen. Er bemüht sich redlich, seine Aufgaben noch zu erledigen. Manchmal noch einen kleinen Spaziergang in den Gärten des Vatikan. Aber die Phasen, in denen er Ruhe braucht, werden immer häufiger. Ich denke, der Herr wird ein Einsehen haben und ihn bald von der irdischen Mühsal befreien.“

    „Es tut mir unendlich leid, das zu hören“, sagte Nicholas betroffen. Der alte Kardinal war schon das letzte Mal hinfällig gewesen. Er war auf Schlimmes gefasst. „Ich bin nur ganz kurz in Rom. Glauben Sie, ich habe die Gelegenheit ihn zu sprechen?“

    „Im Moment schläft er noch. Geben Sie ihm noch ein Stündchen, dann ist er wach. Ich bin sicher, er wird vor Freude aus dem Häuschen sein, Sie zu sehen.“

    „Dann sehen wir uns in einer Stunde.“

*

    Nicholas nutzte die Stunde, um die Puzzleteile zusammenzusetzen, und um die Emotionen wieder in den Griff zu bekommen, die sich aus dem Gespräch mit Spinola ergeben hatten. Ein Espresso in einem der vielen Straßencafés half ihm dabei.

    Was für eine Brisanz konnte ein Fall haben, der schon ein halbes Jahrhundert alt war? An den sich kaum noch jemand erinnerte? Spinolas Erklärung war zugegebenermaßen schlüssig. Die katholische Kirche stand in der Tat unter Beschuss, und wenn sich wirklich Beweise für den Mord an einem Papst ergeben sollten, dann wäre das schon ein Erdbeben ungeahnten Ausmaßes mit Rom als Epizentrum. Die Wellen der Zerstörung würden in Riesengeschwindigkeit um den ganzen Erdball laufen und so manche christliche Glaubensgewissheit zum Einsturz bringen.

    Aber wie sollten Beweise aussehen, die jetzt, mit fast 50jähriger Verspätung gewürdigt werden sollten? Mit Boston als zentralem Ausgangsort für die Enthüllung? Völlig unglaubwürdig!

    Doch die Panik Seiner Eminenz war zweifellos echt. Nicholas wusste, dass der alte Kardinal ihn nicht mochte. In seinen Augen mangelte es ihm, Falcone, an der nötigen Demut, und etwas tieferer Respekt vor dem Kardinalshut wäre auch kein Luxus. Also: warum gerade er?

    Dass er auf seinem Gebiet der Beste war, war Fakt. Das sprach für die Wichtigkeit. Aber da war auch noch der Hinweis auf sein „gewinnendes Wesen“ im Zusammenhang mit einer Frau und die mehrfach unterstrichene Erlaubnis, dass alles erlaubt war. Als Kriegslisten schlug der Kardinal Lüge, Verstellung, Vertrauensbruch und Diebstahl vor. An sich schon eine moralische Bankrotterklärung. Animierte er mit seiner Formulierung darüber hinaus sogar zum Bruch seines Keuschheitsgelübdes? Dann musste der Fall wirklich brisant sein.

    Am meisten aber ärgerte sich Nicholas über die Verachtung, die der Alte den Frauen entgegenbrachte. Er hatte hinter vorgehaltener Hand (die typische Geste im Vatikan!) schon gehört, dass der Kardinal ein ausgesprochener Frauenhasser war. Alles Übel dieser Welt hatte zwei Brüste und eine Vagina. Aber einen so deutlichen Beweis für dieses Gerücht hatte es bisher noch nicht gegeben. Was immer man den Frauen an Verwerflichem antat – es war abgedeckt dadurch, dass es dem defizitären Teil der Schöpfung galt. Bei der Erschaffung der Hälfte seiner Kreaturen hatte Er dort droben ganz offensichtlich gepfuscht.

    Nicholas Falcone entschied für sich, dass diese Mission ausschließlich nach seinen Spielregeln ablaufen würde. Er würde sich von Spinola nicht vorschreiben lassen, ungebührliche Mittel einzusetzen, die er nicht verantworten konnte.

    Er trank seine Tasse aus und machte sich auf, den Mann aufzusuchen, an dessen Integrität er keine Sekunde zweifelte und den er liebte, wie einen Vater.

*

    „Nicholas!“

    Ein einziges Wort nur! Aber in ihm lag eine ganze Welt voller Zuneigung und Liebe. Seine Eminenz Kardinal DiMonti strahlte über das ganze Gesicht. „Lieber Junge!“

    Nicholas Falcone eilte zu dem alten Mann, der dort am Fenster saß, trotz der sommerlichen Hitze mit einer Decke über dem Schoß, kniete neben seinem Sessel nieder, griff mit beiden Händen nach der Linken des Kardinals und küsste sie. DiMontis Rechte legte sich auf Falcones Haupt, und seine Lippen formulierten ein stummes Gebet.

    „Jedes Mal, wenn ich dich sehe, lobe ich unseren Herrn, weil er dich so vollkommen geschaffen hat. Alles, was ich sehe, ist von absoluter Perfektion.“

    Falcone lächelte. „Eminenz, Sie werden noch die Sünde der Hoffart in mir wecken.“

    „Du siehst blendend aus.“ Der alte Kardinal betrachtete ihn mit großem Wohlgefallen.

    „Ich fühle mich auch gut.“ Noch immer hielt er die Hände Seiner Eminenz umfangen. Sie hatten die Kälte des Alters, und er hatte das Bedürfnis, sie zu wärmen.

    „Wie geht es Ihnen?“

    Der Alte lächelte abgeklärt. „Mir geht es gut.“

    „Und das darf ich glauben?“

    DiMonti nickte. „Dass mein Weg sich seinem Ende zuneigt, ist kein Grund zu klagen. Das ist nun mal das Leben. Ich trete hoffnungsfroh vor meinen Schöpfer und zähle auf seine Gnade.“

    „Ich bin sicher, man wird drüben einen roten Teppich ausrollen, wenn es so weit ist.“

    Der Kardinal lachte herzlich bei der Vorstellung. „Man wird sehen.“

    „Was gibt es Neues im Vatikan? Ich war fast ein Jahr lang nicht mehr in Rom.“

    „Ach, weißt du, der Vatikan ist ein Hühnerstall. Es wird gegackert und getratscht. Die meiste Zeit sind die Gespräche von ungeheurer Belanglosigkeit.“ Dann wurde das faltige Gesicht verschmitzt. „Eine Ausnahme gibt es allerdings: Seitdem du letztes Jahr das Attentat auf den Papst vereitelt und dem Heiligen Vater wohl das Leben gerettet hast, ist dein Name immer noch in aller Munde.“

    Nicholas winkte ab. „Da war auch jede Menge Glück mit im Spiel. Oder besser: himmlischer Beistand. Der Herr hat wohl noch einiges mit Seiner Heiligkeit vor. So leicht wie es Ali Agca in den 8oer Jahren gehabt hat, als er Schüsse auf Johannes Paul II. abfeuerte, wollen wir es keinem Attentäter mehr machen.“

    „Nein. Dafür haben wir ja jetzt dich, mein starker, junger Freund. Sag mir, bist du zufrieden mit deinem Leben? Bist du glücklich?“

    Nicholas Falcone nickte, ohne zu zögern. „Das bin ich, Eminenz. Wirklich. Ich habe das Gefühl, dass ich Sinnvolles vollbringe. Das ist das Wichtigste.“

    „Dem Pontifex das Leben zu retten, mag zwar ein gutes Beispiel sein. Aber es ist ja nun nicht der Regelfall. Wie sieht es mit dem Alltag aus?“

    Falcone zuckte die Schultern. „Sicher. Sobald mich Monsignore Baconi zu Schreibarbeiten in mein Büro einsperrt, setzt gnadenlose Langeweile ein.“

    „Wie geht es ihm denn?“

    „Oh, er regiert uns mit harter Hand“, scherzte Nicholas, und beide Männer mussten lachen, wenn sie daran dachten, dass der Monsignore vielleicht gerade mal 60 Kilo wog, die Soutane nebst Schärpe mit eingerechnet.

    „Aber er ist nach wie vor bestens vernetzt. Anfang des Jahres hat er drei von uns vier Wochen lang in einem Ausbildungsprogramm der CIA untergebracht. Flagstaff in Arizona. Da kommt nicht jeder hin. Mein Einsatz wurde sogar noch um zwei Monate verlängert. Glauben Sie mir: Das war eine Erfahrung wie keine zweite.“

    Der alte Kardinal nickte. „Du siehst was von der Welt. Du kannst wichtige Kontakte knüpfen.“

    „Mehr als das, Eminenz. Das waren Männer aus der allerersten Reihe. Elitesoldaten. Hocheffizient und loyal.“

    Der alte Kardinal hing an Falcones Lippen, die ihm erzählten, wie die Welt draußen wirklich aussah, außerhalb der Mauern des Vatikanpalastes, dort wo das Leben pulsierte und jeder Tag unzählige neue Entscheidungen verlangte.

    „Da sind echte Freundschaften entstanden. In einem Fall, wie ich denke, sogar eine unverbrüchliche.“

    Wieder nickte DiMonti, diesmal versonnen, wie es schien.              „Freundschaft. Loyalität. So müsste die Welt aussehen“, sagte er leise.

    Nicholas verkniff sich die Frage, ob es diese Werte im Vatikan nicht gäbe. Er glaubte die Antwort zu kennen.

    Er spürte, wie einsam der alte Mann war. Sicher, da war Don Luigi, sein Sekretär, eine treue Seele. Aber auch der hatte die 70 bereits überschritten. Die Kardinäle Spinola und DiMonti führten unangefochten die Altershitliste der Kurie an. Doch so viel Nicholas wusste, bestand kein sonderlich enger Kontakt zwischen den beiden.

    „Wir waren eine Gruppe von nur fünfzehn Männern. Allein auf uns gestellt. Überlebenstraining in der Wüste, Nahkampftechniken, Schießtraining, Kampfstrategien – Wir sind bis an unsere Grenzen gegangen.“

    DiMonti lächelte, als er die schwärmerische Begeisterung eines jungen Mannes für die männlich-heroischen Taten heraushörte. Die Idee des Gotteskriegertums war offenbar noch nicht zu Ende gedacht. „Erzähl weiter!“

    „Wir haben uns natürlich auch selbst verpflegt. Die Fische, die wir mit Pfeilen aus dem Fluss geholt haben, waren ja noch ganz schmackhaft, aber die gekochte Baumrinde mit gegrillten Maden als Nachtisch – das war schon gewöhnungsbedürftig.“

    „Tu mir den einen Gefallen, Nicholas, und unterhalte dich nicht mit Sr. Renata, meiner Köchin, darüber.“

    Falcone lachte. „Abgemacht, Eminenz. Nun, Delikatessen dieser Art gehören ja auch nicht in Ihre Welt.“

    Falcones launiger Ausflug in ein ganz anderes Leben hatte den alten Mann erheitert und gleichzeitig nachdenklich gemacht.

    „Die parallele Welt,“ seufzte er.

    Don Luigi brachte einen Stuhl, und Nicholas konnte die unbequeme Haltung auf einem Knie aufgeben. Er setzte sich, ohne die Hände des alten Kardinals loszulassen.

    „Weißt du, Nicholas, als ich so jung war wie du jetzt, war ich Seelsorger in einer kleinen Gemeinde in Kampanien. Ich habe die Neugeborenen getauft, habe Ehen geschlossen und die Sterbenden auf ihrem letzten Weg begleitet. Ich habe meinen Schäfchen die Beichte abgenommen und ihnen für ihre unbedeutenden kleinen Alltagssünden die Absolution erteilt. Sicher, ich war Außenstehender, aber trotzdem habe ich mitten im Leben gestanden.“

    Der Kardinal schwieg einen Moment, und Falcone hatte den Eindruck, dass dieser Teil seiner Lebensbilanz noch seine Zustimmung fand.

    „Aber dann kam die Karriereleiter, und mit jeder Stufe nach oben habe ich mich von diesem Leben entfernt. Wenn ich dir zuhöre, dann wird mir klar, dass mein Leben in Theorie erstarrt ist, so unnachgiebig wie die Gemäuer dieses Palastes hier zu meinem Gefängnis wurden. Die ganze Menschheit zu lieben ist einfacher als das, was jeder Ehemann und Vater tut: verantwortlich sein für das Lebensglück seiner Ehefrau, seiner Kinder, seiner Familie. Wir Kleriker sind so eingenommen von unserer Wichtigkeit. Aber wer weiß, vielleicht sind wir nur nicht mutig genug, ein Leben mit so vielen kleinen, aber unendlich wichtigen Entscheidungen zu bestehen.“

    Nicholas war verblüfft. ‚Wir Kleriker‘ hatte Seine Eminenz gesagt. Er war auch einer.

    „Leben – das bedeutet Vielfalt“, hielt er dagegen. „Jeder muss auf seine Art die Position ausfüllen, für die Gott ihn geschaffen hat. Sie haben als Kardinal so viel Gutes getan. Sie haben Hilfsfonds für die Armen angelegt, haben das Geld für den Bau eines Waisenhauses in Neapel organisiert und so vieles mehr. Es hat schon seinen Grund, weshalb ich Sie verehre. Sie brauchen weder Maden noch Baumrinden zu verspeisen, um meine tief empfundene Hochachtung zu haben.“

    „Nun, ich glaube, da würde ich auch furchtbar versagen. Aber es ist so eine Sache mit den Lebensbilanzen. Man kommt nicht umhin, auch einmal den Gegenentwurf zu seinem gelebten Leben durchzuspielen. Vor allem dann nicht, wenn der Tod schon seine Duftmarke gesetzt hat.“

    „Ihre Bilanz kann sich sehen lassen“, bekräftigte Falcone voller Überzeugung. „Und deshalb glaube ich auch an den roten Teppich.“

    Der Alte lächelte gerührt. „Du bist ein guter Junge, Nicholas Falcone.“

    Die Frage lag ihm auf der Zunge, doch er wagte nicht, sie zu stellen. Es wäre ihm übergriffig vorgekommen. Bei aller Vertrautheit hätte sie doch den hintersten Winkel von DiMontis innerem Verlies tangiert, da, wo man seine geheimsten Überzeugungen wegsperrte. Der Glaube an Gott war unerschütterlich. Aber der Panzer, den er um seine Lebensbilanz legte, schien kleine Haarrisse zu bekommen, aus denen unaufhaltsam Gewissheit heraussickerte. Nicholas hatte das Gefühl, dass der alte Kardinal jetzt, am Ende seines Lebens, bedauerte, zu wenig Leben in sein Leben gelassen zu haben. Bereute er es etwa, sich für Gott und die Kirche entschieden zu haben???

    Don Luigi brachte zwei Gläser Rotwein zur Feier des Tages. Beide Männer tranken einen Schluck.

    „Ein klein wenig beneide ich dich, Nicholas. Gar nicht so sehr um deine Jugend. Das Alter kommt von selbst. Nein, es geht mir darum, dass du dein Leben gestaltest. Du hast so eine innere Sicherheit in dir, die dir stets den rechten Weg zeigt. Manchmal glaube ich, dass die mir irgendwie abhandengekommen ist.“

    „Ich fürchte, das sieht nur so aus.  Ich kämpfe schon auch mit meinen Entscheidungen. Sehen Sie, die Welt ist in der Tat undurchschaubar geworden. Es gibt keine Gewissheiten mehr heutzutage. Alles kann sich als falsch herausstellen, weil Lüge und Täuschung Teil unseres Lebens geworden sind. Wir nähern uns wieder einem Punkt, dass nur das Recht des Stärkeren entscheidet. Darauf müssen wir vorbereitet sein. Selbst die Kirche mit ihren Dogmen steht hier auf verlorenem Posten.“

    Der Alte nickte. „Wie wahr! Da darf man froh sein, wenn Männer wie du noch einen intakten Kompass für das Richtige in sich tragen.“

    „Beten Sie für mich, dass dieser Kompass auch weiterhin funktioniert.“

    DiMonti nickte ernst. „Glaube mir: Das tue ich öfter als du denkst.“

    Eine Pause entstand. Ohne auf die Uhr zu blicken, wusste Nicholas, dass ihm die Zeit knapp wurde. Der Flieger würde nicht auf ihn warten. Es widerstrebte ihm, das Gespräch abzubrechen, das dem alten Kardinal offenbar so wichtig war, doch er hatte keine Wahl.

    „Darf ich dir noch ein Glas Wein anbieten?“

    „Danke, Eminenz. Doch ich fürchte, ich muss mich allmählich verabschieden. Mein Flug nach Boston geht um 19.00 Uhr.“

    DiMonti nickte verstehend. „Wieder bereit, die Welt zu retten?“

    Nicholas lachte. „Na, ich glaube, es geht auch eine Nummer kleiner. Aber Sie wissen, dass ich über meine Mission nicht sprechen darf.“

    „Natürlich. Bezieht die Geheimhaltung auch deinen Auftraggeber mit ein?“

    Falcone überlegte kurz, dann schüttelte er den Kopf.

    „Darüber, denke ich, darf ich reden. Seine Eminenz Kardinal Spinola hat mich angefordert.“

    „Spinola!“ Der Kardinal spuckte den Namen aus wie einen Bissen verdorbenen Fischs. „Spinola hat dich angefordert?“

    Nicholas nickte, irritiert durch die heftige Reaktion DiMontis.

    „Wollen Sie mir etwas sagen, Eminenz?“

    Der Kardinal schwieg. Dann sagte er: „Sei vorsichtig, Nicholas. Pass um Himmels Willen auf dich auf. Wenn Spinola dir einen Auftrag erteilt, dann ist höchste Gefahr im Spiel.“

    „Was lässt Sie das glauben?“

    Doch der alte Kardinal wich einer direkten Antwort aus.     „Glaub mir, es ist nicht immer alles so, wie es scheint. Der Vatikan ist mitnichten ein Hort der Wahrheit. Im Gegenteil: Es gibt nichts in diesen Gemäuern, worüber sich alle einig sind. Es gibt sogar welche, die wunderbar damit hätten leben können, wenn du das Attentat auf den Heiligen Vater im letzten Jahr nicht verhindert hättest.“

    Die Leidenschaft in seiner Stimme war ein Gradmesser, wie sehr den alten Mann dieser Sachverhalt erzürnte.

    „Und wenn es opportun ist, eine Sache neu zu gewichten, dann wird deine heldenhafte Tat plötzlich heruntergespielt. Vielleicht war alles gar nicht so schlimm!  Vielleicht wurde alles nur maßlos übertrieben? Vielleicht ist dir das nur gelungen, weil die Personen X und Y helfend zur Stelle waren? Also gar nicht unbedingt dein Verdienst? Das geht rasend schnell. Und leider ist selbst der Heilige Vater nicht davor gefeit, den falschen Leuten mitunter sein Ohr zu leihen. Verlass dich also nicht darauf, dass dir deine wunderbare Tat Sicherheit verleiht. Ruhm – das ist eine Münze aus falschem Gold. Da wird eifersüchtig daran genagt, bis nichts mehr davon übrig ist. Da unterscheidet sich der Vatikan nicht vom Rest der Welt. Leider!“

    Verbitterung ließ die Stimme des alten Kardinals laut werden. Don Luigi betrat verstört das Zimmer, beunruhigt darüber, dass sich Seine Eminenz über irgendetwas aufgeregt haben könnte, was dem schwachen Herzen schadete.

    „Danke, Eminenz, für die Warnung. Ich werde sie mir zu Herzen nehmen“, sagte Nicholas ernst. „Aber glauben Sie mir, ich kann recht gut auf mich aufpassen.“

    „Für dich zu beten, wird aber auch nichts schaden.“

    „Das wird es sicher nicht.“

    Der Kardinal fand allmählich wieder zu seiner Fassung zurück. Er schien die Heftigkeit seines Ausbruchs wieder einfangen zu wollen.

    „Wir wollen den Vatikan auch nicht schwärzer malen als er ist. Die große Masse der Kurienmitglieder ist ehrlich bemüht, Gutes zu tun.“

    „Sie sind das beste Beispiel hierfür.“

    Falcone drückte DiMontis Hand. Es war ihm ein Anliegen, den Abschied wieder in ruhige Bahnen zu steuern. Die Sorge des Kardinals rührte ihn. Sie war Zeichen seiner tiefen Zuneigung zu ihm, eine Zuneigung, die er rückhaltlos erwiderte.

    „Ich fürchte, ich werde mich verabschieden müssen, Eminenz. Die Zeit drängt. Aber ich werde Sie wieder aufsuchen, wenn ich darf, sobald ich wieder in Rom bin.“

    „Es wird mir eine große Freude sein. Wie lange gedenkst du wegzubleiben?“

    Nicholas zuckte die Achseln. „Schwer zu sagen. Eine, vielleicht zwei Wochen, wenn alles gut geht.“

    DiMonti nickte. Dann wiederholte er mit großer Eindringlichkeit, was ihn umtrieb. „Pass auf dich auf! Tu das, was du vor deinem Gewissen verantworten kannst. Man verliert sich so leicht, wenn man nur blind einem Ziel hinterherläuft und nur Befehle ausführt.“

    „Das werde ich tun, Eminenz. Machen Sie sich um mich keine Sorgen. Und noch viel weniger um Ihre Lebensbilanz. Die kann sich sehen lassen.“

    Jetzt lächelte der Kardinal wieder. „Der rote Teppich?“

    „Unbedingt, Eminenz.“

    Wieder legte er Nicholas Falcone segnend die Hand aufs Haupt. Der küsste dem alten Mann ehrfurchtsvoll die Hände und verabschiedete sich.

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